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Autopsie und Religion

Respekt vor den Verstorbenen

In den Spitälern wird immer weniger seziert, obwohl oft nur die Autopsie Auskunft über die genaue Todesursache geben kann. Eine Tagung an der UZH ging der Frage nach, welche Rolle die Autopsie in der Medizin spielt und wie sich die einzelnen Religionen dazu stellen.
Marita Fuchs
Brachten dei Sichtweise ihrer Religion in die Tagung ein: Rabbiner Marcel Yair Ebel, Refoel Guggenheim, jüdischer Kinderarzt, und Marian Eleganti, Weihbischof in der römisch-katholische Kirche (v.l.).

Die heutige Medizin basiert auf den Ergebnissen unzähliger Autopsien. Tausende von Krankheiten wurden auf ihrer Grundlage identifiziert, viele therapeutische Irrtümer mit ihrer Hilfe festgestellt. Doch die Zahl der Autopsien geht zurück. So wurden 1991 in Zürich noch über 1'500 Autopsien durchgeführt, 2011 waren es nur noch 400.

Seit 2000 gilt das im Gesetz festgelegte Zustimmungsrecht: Um eine Autopsie durchführen zu können, brauchen Mediziner das Einverständnis der Patienten oder der Angehörigen. «Doch dieses wird immer häufiger verweigert», sagte Holger Moch, Professor für Pathologie an der Universität Zürich, vergangene Woche an einer Tagung des Kompetenzzentrums Medizin – Ethik – Recht Helvetiae (MERH).

Beleuchteten medizinische und juristische Aspekte der Autopsie: Pathologie-Professor Holger Moch und Rechtsprofessorin Brigitte Tag. 

Die Würde wahren

«Wir haben uns mit der Tagung zum Ziel gesetzt, die Autopsie von ganz verschiedenen Seiten aus zu beleuchten», erklärt Rechtsprofessorin Brigitte Tag. Aus diesem Grund waren neben Experten aus Medizin, Ethik, Recht und Politik auch Vertreter der fünf Weltreligionen zur Tagung eingeladen, die sich stellvertretend für ihre Religionsgemeinschaft zur Autopsie äusserten.

Ein Überblick über die Religionen zeigt folgendes Bild: Die christlichen Religionen akzeptieren die Autopsie, falls die Würde des Toten gewahrt bleibt. Das gilt auch für den Islam und den Hinduismus. Buddhisten dagegen plädieren dafür, nach dem Tod mindestens drei Tage bis zur Autopsie zu warten, denn die Seele braucht – nach der Vorstellung dieser Religion – eine Weile, um den Körper zu verlassen.

Anders ist es beim jüdischen Glauben: Die Autopsie wird hier als Entweihung des Körpers betrachtet. Sie ist nur in spezifischen Fällen erlaubt und muss von einer erfahrenen rabbinischen Fachperson beurteilt und entschieden werden.

Mangelnde Kommunikation

Den Rückgang der Autopsien führte Moch auf verschiedene Gründe zurück: Ein medizinischer Grund seien verbesserte diagnostische Möglichkeiten. Daneben gebe es aber auch nicht-medizinische Gründe: Manchmal verweigerten Angehörige die Autopsie, weil sie das Gefühl hätten, der verstorbene Patient habe schon genug gelitten oder die Bestattung werde verzögert. 

«Häufig steckt ein Kommunikationsproblem hinter einer abgelehnten Autopsie», bilanzierte Moch. Viele Mediziner vermittelten die positiven Aspekte der Autopsie schlecht. Es sei wichtig, die Angehörigen umfassender über Sinn und Zweck der Autopsie aufzuklären.

Leichen lügen nicht

Aus medizinischer Sicht spreche viel für eine Autopsie, sagte Moch. Oft könne nur sie die wahre Todesursache klären. Angehörige würden dadurch von Schuldgefühlen entlastet. Häufig stehe die Frage im Raum: «Hätten wir noch helfen können oder anders reagieren müssen?»

Eine Autopsie könne die Verwandten zudem auf Erbleiden in der Familie aufmerksam machen. Manchmal würde eine Autopsie von Angehörigen in Auftrag geben, um diesbezüglich Gewissheit zu erhalten. In diesem Fall übernehmen sie auch die Kosten für eine Autopsie – zwischen 1'000 und 1'300 Franken.

Den Spitälern helfe die Autopsie bei der Qualitätssicherung der medizinischen Arbeit, führte Moch weiter aus. Sie zeige, ob die zuvor getroffene Diagnose wirklich stimme. Zudem könne die Wirkung neuer Medikamente nur durch eine Autopsie eindeutig nachgewiesen werden. «Die Autopsie gehört zum Handwerk eines Mediziners», zeigte sich Moch überzeugt. Er stehe einer Medizinerausbildung skeptisch gegenüber, die Ärzte ausbilde, welche niemals eine Sektion durchgeführt hätten. «Viele medizinisch relevante Zusatzinformationen gehen dadurch verloren».

Legten dar, wie ihre Religionen zur Autopsie stehen: Alberto Bondolfi (emeritierter Theologie-Professor an der Universität Genf), Satish Joshi (Hinduismus) und Mahmoud El Guindi (Vereinigung der Islamischen Organisationen Zürich).

Würdevoller Umgang mit der Leiche

Die Juristin Brigitte Tag stellte die Rechtslage im Umgang mit der Leiche dar. Lebende hätten Rechte und Pflichten, Tote jedoch nicht. Das mache sie vor dem Gesetz zu einer Sache, jedoch zu einer ganz besonderen. Das Persönlichkeitsrecht wirke über den Tod hinaus. Ein besonders würdevoller Umgang mit Leichen sei angezeigt.

Eine Autopsie könne nur dann durchgeführt werden, wenn der Tote vor seinem Ableben sein Einverständnis gegeben habe, oder wenn die Angehörigen zustimmen. Sie werde jedoch auf jeden Fall durchgeführt, falls eine Straftat nachgewiesen werden müsse. Der Religionsfreiheit werde vom Recht grossen Raum gewährt, nicht jedoch im Falle einer möglichen Straftat.

Brigitte Tag verwies auf das neue Humanforschungsgesetz, das am 1.1.2014 in Kraft trete. In Artikel 35 sei eine erweiterte Zustimmungsregelung festgelegt worden, dies lasse Raum für den Einbezug religiöser Vorstellungen. Insofern erhalte die Religion in Zukunft im Zusammenhang mit Fragen rund um die Autopsie mehr Gewicht.