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SNF-Förderungsprofessuren

Fairer Prozess

Sieben neue Förderungsprofessorinnen und Förderungsprofessoren des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) sind seit 2012 an der UZH tätig. Wir stellen sie in loser Folge vor – diesmal die Strafrechtlerin Sarah Summers. Sie untersucht, wie die Vorgaben an ein faires Verfahren in der Schweiz umgesetzt werden.
Adrian Ritter

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Unterwegs zwischen Schweizer Gerichten: SNF-Förderungsprofessorin Sarah Summers.

Rund 20 Studierende und Doktorierende werden sich im Auftrag von Sarah Summers ab November in Schweizer Gerichtssälen unter die Zuschauer mischen. Sie werden genau hinhören und protokollieren: Wird den Angeklagten rechtliches Gehör geschenkt? Macht die Verteidigung ihre Rechte geltend? Ist bei Bedarf ein Übersetzer für den Angeklagten verfügbar?

Damit soll in der Schweiz erstmals empirisch untersucht werden, wie Strafprozesse in der Praxis ablaufen. Dies ist umso interessanter, als die Schweiz seit 2011 ein vereinheitlichtes Straffprozessrecht kennt. Das Projekt soll unter anderem zeigen, wie die Gerichte in verschiedenen Kantonen den verbleibenden Ermessensspielraum nutzen.

800 Prozesse beobachten

Je rund 200 Prozesse will Sarah Summers an Gerichten in Basel, Bern, Genf und Zürich in den nächsten zwei Jahren auswerten: von kurzen Verhandlungen, die mit einer Busse enden bis zu aufwändigen Mordprozessen. Neben der teilnehmenden Beobachtung werden die Forschenden auch Verteidigerinnen, Angeklagte und Staatsanwälte befragen.

Die Eingabe ihres «Trial Observation Project» hatte den Schweizerischen Nationalfonds überzeugt. Er hat Summers eine sechsjährige Förderungsprofessur an der UZH ermöglicht, die sie im April 2012 angetreten hat.

Ihr neues Projekt reiht sich ein in die grosse Frage, der sich Summers schon lange widmet: Die verfahrensrechtliche Fairness, wie sie Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festhält: «Jeder Mensch hat das Recht auf ein faires Verfahren».

Anwalt schon im Vorverfahren

Für Strafverfahren begann sich Summers schon im Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Glasgow in Schottland zu interessieren. 2001 startete sie als Assistentin an der UZH und widmete ihre Forschung der Frage, wie Vorverfahren bei Strafprozessen – also die Untersuchungsphase —  ablaufen.

In ihrer Dissertation plädierte Summers dafür, die Rechte der Angeklagten zu stärken. Inzwischen hat sich beim Europäischen Gerichthof für Menschenrechte diesbezüglich auch etwas getan. Das Gericht hat 2010 entschieden, dass Angeklagte schon im Vorverfahren das Recht auf einen Anwalt haben.

Neben dem «Trial Observation Project» arbeitet Summers zur Zeit mit Christian Schwarzenegger, Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht am Buchprojekt «The Emergence of EU Criminal Law». Darin untersuchen sie die Harmonisierung des IT-Strafrechts in der Europäischen Union.

Die gerechte Strafe

Als drittes Projekt untersucht Summers derzeit in ihrer Habilitation, nach welchen Kriterien im Schweizer Strafrecht das Strafmass bestimmt wird. Auch hier besteht ein Ermessensspielraum, den Summers ausloten will: Welche Rolle spielen verfassungsrechtliche Grundsätze der Bundesverfassung oder EMRK, wenn es darum geht, die Höhe einer Geldstrafe oder die Länge einer Freiheitsstrafe zu bestimmen? Ist es legitim, dass ein Geständnis oder ein überlanges Verfahren sich strafmindernd auswirken?

Die Habilitation wie auch die Publikation mit Christian Schwarzenegger sollen im Laufe des Jahres 2013 erscheinen. Mit Resultaten aus dem «Trial Observation Project»  ist bis 2016 zu rechnen.

Fehlende Untersuchungsrichter

Aufgrund ihrer bisherigen Forschung beurteilt Summers das Strafprozessrecht in Europa als weitgehend fair. In einzelnen Ländern aber ortet sie gravierende Mängel – in Italien etwa die überlangen Verfahren und in Grossbritannien die eingeschränkte Akteneinsicht für die Verteidigung und der Inhaftierung von Terrorverdächtigen auch ohne Verfahren.

In der Schweiz erachtet sie die Zeugenbefragung gemäss dem neuen Strafprozessrecht als heikel. So sind bei Zeugenbefragungen im Vorverfahren kein Richter, sondern nur Staatsanwalt und Verteidiger anwesend. Weil der Staatsanwalt die Befragung leitet und die Fragen stellt, kann gemäss Summers von gleich langen Spiessen kaum mehr die Rede sein: «Ob damit das Recht auf ein faires Verfahren noch gegeben ist, ist fraglich.» 

Sie plädiert dafür, dass im Vorverfahren ein unparteilicher, unabhängiger Untersuchungsrichter anwesend ist und die Befragung leitet. Die Alternative dazu wäre, Zeugen im Hauptverfahren nochmals vor Gericht erscheinen zu lassen.

Schottland ohne Strafgesetzbuch

Und wie sieht das Strafrecht in Sarah Summers Heimat Schottland aus? Ganz einfach, es gibt kein Strafgesetzbuch. Schottland kennt zwar im Bereich Betäubungsmittel und Strassenverkehr schriftliche Normen, grundsätzlich aber gilt das «Common Law», also die Praxis der bisherigen Rechtsprechung.

Im Zweifelsfall ziehen die Richterinnen und Richter die «Commentaries on the law of Scotland Respecting Crimes» von 1844 zu Rate. Verfasst hatte das Werk David Hume, der Neffe des berühmten schottischen Philosophen und Aufklärers mit demselben Namen. Die «Commentaries» sind eine Sammlung von Gerichtsentscheiden und Kommentaren, die den Richtern auch heute als Begründung für ihre Urteile gute Dienste leistet.