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Talk im Turm

«Kreativität entsteht aus Fehlschlägen»

Was ist ein gutes Experiment, und wie wird man ein erfolgreicher Experimentator? Darüber diskutierten im dritten «Talk im Turm» der Chemiker Roger Alberto und der Ökonom Ernst Fehr. Hier die Video-Aufzeichnung des Podiumsgesprächs, das kürzlich im Restaurant Uniturm stattfand. 
David Werner
Beim «Talk im Turm» vom 1. Oktober 2012 sprachen Chemiker Roger Alberto und der Ökonom Ernst Fehr über Versuche, die die Welt verändern. Moderiert wurde das Gespräch von Thomas Gull und Roger Nickl. (Video: MELS)

Video-Aufzeichnung auf YouTube (in HD)  

Roger Albertos erste naturwissenschaftliche Versuche waren Schülerstreiche, bei denen es knallte und die Funken stoben: Mit Phosphor, Schwefel und anderen Ingredienzien gefüllte Pistolenpatronen wurden aufs Bahngleis gelegt, und der Jubel war gross, wenn dann der Zug darüber fuhr. Das Ziel, so Alberto, war «die optimale Detonation».

Heute ist Roger Alberto Professor für Anorganische Chemie an der UZH. Zusammen mit Ökonomie-Professor Ernst Fehr war er Gast im dritten «Talk im Turm». Das Podiumsgespräch fand unter der Leitung der Magazin-Redaktoren Thomas Gull und Roger Nickl am 1. Oktober statt.

Alberto arbeitet an einem grossangelegten und vielversprechenden Forschungsprojekt zur künstlichen Photosynthese, das bei der Lösung des globalen Energieproblems helfen könnte. Mit den Kinderstreichen von einst hat seine heutige Forschung nicht mehr viel zu tun. Geblieben aber ist das Spielerisch-Spontane beim Experimentieren. «Chemie», sagte Alberto auf dem Podium, «war schon immer eine sehr intuitive Wissenschaft – auch heute noch, obwohl wir alle Moleküle berechnen können und sehr ausgefeite analytische Instrumente dafür zur Verfügung haben.»

«Chemie war schon immer eine sehr intuitive Wissenschaft.» Roger Alberto (r.) mit Magazin-Redaktor Thomas Gull.

Kunst des Experimentierens

Was macht ein gutes Experiment aus? Für Roger Alberto besteht die Kunst des guten Experimentators darin, genau hinzuschauen, wenn ein Ergebnis nicht den Erwartungen entspricht, also auf den ersten Blick ein Misserfolg zu sein scheint. Eine ähnliche Antwort gab Ernst Fehr: «Kreativität», sagte der Ökonom, «entsteht aus Fehlschlägen.»

Im Gegensatz zur Chemie spielten in der Wirtschaftswissenschaft Experimente lange Zeit nur eine marginale Rolle. Die Wirtschaftswissenschaft verstand sich als eine vorrangig theoretische Disziplin. Das änderte sich erst Mitte der Achtzigerjahre. Inzwischen, so Fehr, hätten sich die Verhältnisse völlig umgedreht. Die vielkritisierte Ökonomie sei heute die reformfreudigste Disziplin innerhalb der Sozialwissenschaften, sagte er – nur habe dies die Öffentlichkeit noch nicht richtig zur Kenntnis genommen.

Empirie aus der Not heraus

Sein erstes Experiment, so erzählte Fehr, habe er als Assistent an der Technischen Universität in Wien gemacht. Er habe das ökonomische Dogma, dass Fairnessvorstellungen in Wettbewerbsmärkten keine Rolle spielten, widerlegen wollen. Zunächst habe er wie in der Disziplin üblich auf rein theoretischer Ebene argumentiert, «doch keine Zeitschrift wollte meinen Aufsatz publizieren». So begann er – aus der Not heraus – Experimente zu machen, um die Fachwelt zu überzeugen.

Hirnmanipulationen mit Magnetspule

Um zu veranschaulichen, worin ihre Forschungsarbeit im Labor besteht, brachten Ernst Fehr und Roger Alberto Experimentiergegenstände mit ins Restaurant Uniturm. Ernst Fehr führte ein Gerät zur «transkraniellen Magnetstimulation» (TMS) vor. Er benutzt es dazu, herauszufinden, welche Hirnregionen darüber bestimmen, ob  ökonomischen Entscheidungen eher altruistisch oder egoistisch ausfallen. «Wir können nachweisen, dass neuronale Aktivitäten ursächlich für die Befolgung sozialer Normen sind», sagte Fehr. Er staune selbst darüber, dass man so komplexe Verhaltensweisen mit einer einfachen Magnetspule beeinflussen könne.

Energiequelle der Zukunft

Roger Alberto brachte eine Apparatur mit, in der eine künstliche Photosynthese in Gang gesetzt und eine Zeitlang am Laufen gehalten werden kann. Die Apparatur wirkt simpel: Sie besteht aus einer Lampe, die ein kleines, mit Wasser, Farbstoff und Katalysator gefülltes Glasgefäss beleuchtet. An dieses wiederum ist ein U-Rohr angehängt, in dem sich der so erzeugte Wasserstoff sammelt.

So einfach die Apparatur erscheint – sie könnte ein Schlüssel zur Energieversorgung im 21. Jahrhundert werden. «Wir wollen versuchen, Lichtenergie direkt in chemische Energie zu übertragen und so zu speichern», erklärte Alberto. Vorbild für diesen Vorgang ist die Photosynthese, wie sie sich in Pflanzen vollzieht. Die Hoffnung ist, eine Technologie zu entwickeln, die eine Abkehr von fossilen Energieträgern und Kernenergie ermöglicht.

Ideen zählen mehr als Forschungsgelder

Die UZH hat Albertos visionäres Forschungsprojekt zum Universitären Forschungsschwerpunkt erklärt. Der Schwerpunkt startet kommendes Jahr unter dem Titel «Von Sonnenlicht zu chemischer Energie». Etwa dreissig Forschende aus mehreren Disziplinen werden sich daran beteiligen.

Albertos Team ist nicht das einzige, das erforscht, wie sich die künstliche Photosynthese für die Energiegewinnung einsetzen lässt. Am California Institute of Technology zum Beispiel arbeitet ein Konsortium, dem ein Mehrfaches an Mitteln und Personen zur Verfügung steht, am selben Ziel. Roger Alberto rechnet sich trotzdem Chancen auf einen Erfolg aus: «Worauf es ankommt», sagte er, «sind nicht allein die Forschungsmittel, sondern die guten Ideen.»

«Die grossen wissenschaftlichen Erträge entstehen nie im Mainstream eines Fachs.» Ernst Fehr (l.) mit Magazin-Redaktor Roger Nickl.

Keine Scheu vor den ganz grossen Fragen

Roger Alberto und Ernst Fehr, das wurde im Gespräch deutlich, backen keine kleinen Brötchen. Nach seiner Motivation gefragt, nannte Fehr den Wunsch, Antworten auf die ganz grossen ungelösten Fragen zu finden. «Ich wollte immer etwas machen, von dem ich überzeugt bin, dass es meiner Disziplin ganz neue Perspektiven eröffnet», sagte Fehr. Daher habe er sich immer auch für andere Fächer interessiert und Erkenntnisse aus der Anthropologie, der Neurologie, der Psychologie, der Soziologie oder der Erziehungswissenschaft in die Ökonomie importiert. «Die grossen wissenschaftlichen Erträge entstehen nie im Mainstream eines Fachs, sondern an den Schnittpunkten zu anderen Disziplinen», sagte er.

Um die grossen Fragen nicht aus den Augen zu verlieren, sei es für einen Wissenschaftler wichtig, gelegentlich auf Distanz zum Klein-Klein des Tagesgeschäfts zu gehen, erklärte Fehr. Ihn selbst treibe zum Beispiel seit Jahrzehnten die Frage um, wie die Gesellschaft das Individuum prägt. Darüber gebe es in den Sozialwissenschaft noch sehr wenig gesichertes Wissen. «Wir wissen, dass Umweltbedingungen einen massiven Einfluss darauf haben, wie unser Hirn funktioniert, aber wir wissen noch nicht genau, wie sich das Hirn durch solche äusseren Einflüsse verändert.» Die Zeit, so Fehr, sei reif für bedeutende Erkenntnisschritte auf diesem Gebiet.