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Revolution in den arabischen Ländern

Wie Beamte demokratische Regeln lernen

Seit Jahren unterstützt die EU arabische Länder beim Aufbau der öffentlichen Verwaltung. Die Politikwissenschaftlerin Tina Freyburg hat diese Programme untersucht. Ihre Hoffnung: Beamte, die an solchen Projekten teilgenommen haben, könnten nach den Revolutionen eine wichtige Rolle übernehmen. 
Interview: Marita Fuchs

Frau Freyburg, können Sie die Frustration vieler arabischer Demokraten darüber verstehen, wie kühl der Westen auf die Ereignisse reagierte, die für sie die einmalige Chance auf Befreiung sind?

Nun, ich würde nicht sagen, dass ‚der Westen‘ insgesamt ‚kühl‘ auf die politischen Umwälzungen reagierte. So wurden die Solidaritätsbekundungen aus den europäischen Gesellschaften mit grosser Freude und Stolz aufgenommen. Aber es ist sicherlich richtig, dass die europäischen Regierungen nebst der EU-Aussenbeauftragten Catherine Ashton erst einmal mit betretenem Schweigen reagiert haben.

Diese zunächst zögerlichen Reaktionen könnten Europa viele Sympathien in den arabischen Gesellschaften gekostet haben, weil sie als ein Festhalten an den Autokraten verstanden wurden.

Jasmin Revolution in Tunesien: Verdienst der mutigen, überwiegend jungen Bevölkerung.

Warum reagierten die Regierungen in Europa so unterschiedlich?

Die Orientierungslosigkeit der europäischen Regierungen resultiert vor allem aus zwei Befürchtungen. Zum einen beruht sie darauf, dass die Organisation erster freier Wahlen zu Wahlsiegen der islamistischen Kräfte führen könnte, welche die Herausbildung einer langfristig stabilen und freiheitlichen, progressiven Demokratie behindern könnte.

Zum anderen sind ihre Interessen bedroht. Die bürgerkriegshaften Verhältnisse – wie augenblicklich in Libyen – lassen Fragen nach der Zuverlässigkeit der Energieversorgung, dem Ansteigen der Migrationsbewegungen und nach der politischen Sicherheit aufkommen. Ich denke aber durchaus, dass die arabischen Revolutionen das eindimensionale Image von Muslimen in Europa verändern können.

Was haben Sie in Ihrer Dissertation zu den Auswirkungen von so genannten «Twinning Projekten» zwischen EU und arabischen Partnerländern herausgefunden?

In meiner Doktorarbeit untersuchte ich, inwieweit Staatsbeamte in autoritären Regimen mit demokratischem Regieren vertraut werden, indem sie an transgouvernementalen Politiknetzwerken teilnehmen, die funktionale Kooperation in der Praxis umsetzen.

Eins dieser Netzwerke ist das Twinning-Programm der EU. Es hat zum Ziel, die öffentliche Verwaltung durch Training und Umstrukturierung sowie durch das Entwerfen von Gesetzen und Regulierungen am Vorbild der EU-Regeln zu modernisieren. Twinning-Projekte basieren auf täglichen, intensiven Arbeitsbeziehungen über einen Zeitraum von ein bis drei Jahren.

Verwaltungsgebäude in Marokko: Gesetze und Regulierungen nach dem Vorbild der EU-Regeln.

Entsteht durch diese Projekte ein besonderes Vertrauen unter den Partnern?

Ja. Die Projekte helfen nicht nur, Beziehungen und damit Vertrauen und gegenseitiges Verständnis aufzubauen, sondern machen Staatsbeamte auch mit demokratischen administrativen Praktiken vertraut.

Meine Ergebnisse sprechen für eine optimistische Einschätzung von funktionaler Kooperation: Staatsbeamte, die an einem Twinning-Projekt teilgenommen haben, zeigen eine signifikant positivere Einstellung zu demokratischem Regieren als ihre Kollegen.

Zum Beispiel?

Die Beamten erfahren, was angemessenes Regieren bedeutet. Erstens: Die Interessen der einzelnen Bürger bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen, das heisst, vor allem mit Interessenverbänden wie Umweltschutzgruppen und Gewerkschaften zusammen zu arbeiten. Zweitens: Eine umfassende Information der Bevölkerung zu gewährleisten und mit Medienschaffenden zu kooperieren. Drittens: Dass der einzelne Beamte bei Regelverletzungen dafür verantwortlich gemacht werden kann. Diese drei Dimensionen von demokratischem Regieren – Partizipation, Transparenz und Accountability – sind in autoritären Regimen nicht selbstverständlich.

Hat dieser Einstellungswandel auch die arabischen Revolutionen angestossen?

Nein. Der bisherige Erfolg der arabischen Revolutionen, nämlich der Sturz der Despoten, ist zuallererst der Verdienst der mutigen, überwiegend jungen Bevölkerungen.

Tina Freyburg: Für ihre Arbeit über die Twinning-Programme wurde sie mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

Mir scheint jedoch die Sozialisation von Staatsbeamten in demokratischem Regieren zentral für den Aufbau demokratischer Institutionen. Demokratische Reformen auf Regierungsebene erfordern Beamte, die mit demokratischen Formen des Regierens vertraut sind, um tatsächlich zu einer dauerhaften Transformation des politischen Systems zu führen.

Ende 2008 ging das erste Twinning-Vorhaben Deutschlands mit Ägypten zum Thema Abfallwirtschaft in die Umsetzung. Innerhalb des Projektes werden Konzepte und Arbeitsweisen umgesetzt, die in der demokratischen Tradition des europäischen Partners stehen und gleichzeitig die involvierten staatlichen Beamten vor Ort mitprägen. Welchen Einfluss haben diese Beamten auf das politische Geschehen in ihrem Land?

Die europäischen Experten, die in einem Twinning-Projekt mitwirken und die in demokratischen Regierungsstrukturen professionell sozialisiert wurden, vermitteln und gebrauchen die demokratischen Formen der Entscheidungsfindung, wenn sie als Experten im Ausland dienen. Als Teil ihres Beratungsdienstes sprechen sie auch Punkte an, die im innerstaatlichen Diskurs unterdrückt werden, wie die Teilnahme von nichtstaatlichen Akteuren an administrativen Entscheidungsfindungsprozessen oder die Zugänglichkeit zu Informationen für die Öffentlichkeit.

Auf diese Weise können ihre Amtskollegen mit Praktiken administrativen Regierens, wie sie in Demokratien ausgeübt werden, vertraut und in Prinzipien des demokratischen Regierens eingewiesen werden, die unter autoritärer Herrschaft kaum zu finden sind.

Die Informationen, die in transgouvernementalen Netzwerken zur Verfügung gestellt werden, ermöglichen es den Beamten vor Ort, demokratische Formen des Regierens mit innerstaatlicher autoritärer Herrschaft zu vergleichen. Inwieweit und unter welchen Bedingungen eine positive Einstellung zu demokratischem Regieren tatsächlich in alltägliche administrative Praktiken umgesetzt wird, ist jedoch eine offene Frage.

Was ist Ihre Einschätzung?

Meine Studie zu marokkanischen Beamten zeigte, dass eine Sozialisation in demokratischem Regieren in weniger kontroversen und sensiblen Bereich wie der Umwelt am grössten ist. Es scheint demnach, als ob funktionale Kooperationen in einem Rahmen stattfinden müssen, der einen offenen Austausch über demokratische Prinzipien und Praktiken demokratischer Entscheidungsfindung erlaubt.

Eine tatsächliche Anwendung demokratischer Prinzipien würde nicht nur zu einer Demokratisierung administrativer Entscheidungsprozesse führen, sondern gleichzeitig auch durch Transparenz und Rechenschaftspflicht die Korruption eindämmen.

Wie können die neuen Freiheiten, die sich zum Beispiel Tunesier und Ägypter erstritten haben, auf Dauer erhalten bleiben?

Ich sehe gegenwärtig zwei Herausforderungen für einen dauerhaften Transitionsprozess: Zum einen gilt es sich einer Politik zuzuwenden, welche die soziökonomischen Bedürfnisse ernst nimmt und in eine Arbeitsmarktpolitik mündet, die echte Chancen bietet. Zum anderen muss der Polizeiapparat, der eine der wichtigsten Säulen der Unterdrückung war, in eine sich herausbildende demokratische Ordnung integriert werden.

Beide Herausforderungen sind gleichzeitig auch eine Chance für ein zukunftsweisendes, externes Engagement jenseits einer unkritischen Stabilitätspolitik von autoritären Regimen.

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