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Sterbebegleitung von Kindern

Wenn die Kindheit mit dem Tod endet

Die Schweiz ist ein Entwicklungsland, wenn es um Sterbebegleitung bei Kindern und Jugendlichen geht. Das Psychologische Institut der Universität Zürich und das Kinderspital Zürich haben nun untersucht, welche Bedürfnisse die Eltern todkranker Kinder haben und was die Spitäler tun können.  
Corinne Hodel

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In der Schweiz sterben jedes Jahr rund 500 Kinder an Krankheiten wie Krebs, einer Stoffwechselstörung oder chronischen Erkrankungen des Nerven- und Immunsystems. «Stösst die hochspezialisierte Medizin an ihre Grenzen, dürfen wir die kleinen Patienten und ihre Familien nicht alleine lassen», sagt die Kinderärztin und Onkologin Eva Bergsträsser vom Kinderspital Zürich. Dazu gehört auch, dass man etwa «im Kindergarten mit Fachleuten thematisiert, warum ein Stuhl plötzlich leer steht».

Bergsträsser ist in der Schweiz eine Pionierin, wenn es um die palliative Betreuung von Kindern geht. Die Palliativmedizin umfasst neben Sterbe- und Trauerbegleitung auch die Lebensgestaltung davor. Sie hat zum Ziel, dass das Leben trotz einer schweren Krankheit lebenswert bleibt.

Eva Bergsträsser, Kinderärztin: «Die Sterbebegleitung bei Kindern und Jugendlichen steckt in der Schweiz noch in den Kinderschuhen.»

Palliativmedizin für Erwachsene ist in der Schweiz seit den 1970er-Jahren ein Thema. Viele Spitäler haben heute spezialisierte Fachleute und eigene Abteilungen. Anders bei Kindern. Hier steht man erst am Anfang. Im Januar 2011 haben nun das Kinderspital und die Abteilung Sozial- und Gesundheitspsychologie des Psychologischen Instituts der Universität Zürich eine Studie über die Sterbebegleitung von Kindern in der Deutschschweiz veröffentlicht.

Mitautorin Susanne Inglin ist Doktorandin am Psychologischen Institut. Für die Studie hat sie fünfzehn Mütter aus der deutschsprachigen Schweiz interviewt, deren Kinder an einer lebensbedrohlichen Krankheit leiden oder daran gestorben sind. Die Fragen drehen sich um die gegenwärtige Situation der palliativen Betreuung der Kinder und haben zum Ziel, Bedürfnisse an den Tag zu bringen, welche in der Sterbebegleitung bislang nicht befriedigt werden konnten.

Die Arbeit habe sie betroffen gemacht, erzählt die Psychologin. Aber nicht nur: «Es war auch bereichernd zu sehen, dass die betroffenen Familien trotz ihres Schicksals glückliche Momente hatten. Und diese Augenblicke intensiver geniessen als andere Familien.»

Allein gelassen

Wie zufrieden Eltern mit der palliativen Betreuung sind, hängt laut Bergsträsser im wesentlichen vom Krankheitsverlauf ab. Bei einer Krebsdiagnose werden in den meisten Fällen sofort medizinische Massnahmen eingeleitet. Die Eltern von Krebspatienten sind damit von Beginn an von Fachpersonen umgeben und in ein funktionierendes Betreuungssystem eingebettet. Erleiden die Kinder später einen nicht mehr heilbaren Rückfall, verfügen sie bereits über persönliche Erfahrungen und haben vertraute Bezugspersonen. Zudem tritt der Tod in den meisten Fällen verhältnismässig schnell ein.

Anders wenn die Kinder an einer langsam fortschreitenden Krankheit leiden, die nicht unmittelbar im Spital behandelt werden kann. In solchen Fällen fühlen sich die Eltern gemäss Studie mit ihrem kranken Kind oft allein gelassen. Es fehlt eine umfassende Betreuung und Begleitung, die idealerweise bereits bei der Diagnosestellung zu planen gewesen wäre. Werden solche Eltern hingegen von der Kinder-Spitex zu Hause betreut und begleitet, geht es ihnen laut Studie häufig besser.

Die Psychologin Susanne Inglin hat betroffene Mütter befragt.

Grossen Handlungsbedarf orten die Autoren auch bei der Betreuung der Eltern nach dem Tod ihres Kindes. Oft sei damit ein doppelter Verlust verbunden, weil mit dem Tod auch der Kontakt zu Kinderärzten und Pflegenden abbricht. Dies wiege besonders schwer, weil die Eltern zum Teil über Jahre hinweg mit dem Personal täglich zusammengearbeitet haben. Die Betreuungspersonen seien zu wichtigen Bezugspersonen geworden – vor allem dann, wenn sich das soziale Umfeld zurückgezogen hat.

Dieser Rückzug wiederum sei nicht nur der zeitintensiven Pflege des kranken Kindes zuzuschreiben. Oft seien Freunde und Verwandte von betroffenen Familien auch ganz einfach überfordert mit der ungewöhnlichen und schwierigen Situation. «Leider ist es immer noch ein Tabu, über den Tod von Kindern zu sprechen», bedauert Kinderärztin Bergsträsser.

Unterschiedliche Bedürfnisse

Die Ergebnisse der Studie zeigen exemplarisch die Bedürfnisse betroffener Familien in der deutschsprachigen Schweiz, sie lassen sich aber nur schwer auf andere Regionen übertragen. Nicht nur weil die Zahl der Studienteilnehmerinnen mit fünfzehn befragten Müttern eher klein ist, sondern vor allem auch wegen der unterschiedlichen soziokulturellen Hintergründe der betroffenen Eltern. Jede Familie hat einen anderen Umgang mit dem Thema Sterben.

Es gibt Kulturen, bei denen nicht über den Tod gesprochen werden darf. Wird er ausgesprochen, tritt er ein, so die Überzeugung. Immer wieder kommt es auch vor, dass Eltern ihre kranken Kinder nicht wahrheitsgemäss informieren, um sie zu schonen. Und manchmal lassen auch Väter ihre Ehefrauen im Unklaren.

Eva Bergsträsser muss sich daher in ihrem Klinikalltag im Kinderspital Zürich stets aufs Neue fragen, wo eine Familie steht: «Wir müssen eine Sprache finden, die nicht erschreckt oder die Türen vollständig verschliesst», sagt sie. Wie etwa im Fall einer Mutter und ihrer fünfjährigen Tochter mit einem Gehirntumor: «Mein Kinderarzt hat nichts beschönigt. Ich konnte ihn alles fragen. Ich fragte ihn, wie meine Tochter sterben würde, und er sagte mir, dass sie immer müder werde und dann ‹einschlafe›.»