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Morbus Crohn und Colitis ulcerosa

Wenn der Darm entzündet ist

Gerhard Rogler, Gastroenterologe am Universitätsspital Zürich, erhält für eine Studie zur Untersuchung von entzündlichen Darmerkrankungen 4,7 Millionen Franken vom Schweizerischen Nationalfonds. Erkenntnisse aus der Studie sollen möglichst schnell in die Therapie der bisher unheilbaren Darmerkrankungen einfliessen. 
Interview: Marita Fuchs

Herr Rogler, Ihr Forschungsschwerpunkt sind chronisch entzündliche Darmerkrankungen, wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Wie äussern sich diese Krankheiten, und wie weit verbreitet sind sie?

In Mittel- und Nordeuropa leidet 1 von 200 Personen an einer dieser Darmerkrankungen. In der Schweiz sind mindestens 12.000 Menschen betroffen. Bei Morbus Crohn entstehen im gesamten Verdauungstrakt Entzündungsherde. Bei einem Drittel der Patienten gräbt die Krankheit regelrechte Gänge – so genannte Fisteln – in das benachbarte Gewebe. Diese Fisteln müssen operiert werden. Ein Problem ist auch die Narbenbildung des Gewebes, sie kann zu Verengungen des Darms führen.

Das Krankheitsbild von Colitis ulcerosa unterscheidet sich von Morbus Crohn dadurch, dass die Entzündung auf den Dickdarm begrenzt ist. Die stärkste Entzündung ist im Enddarm. Befallen ist in der Regel die Schleimhaut der obersten Darmschicht. Typisch für eine schwere Colitis ulcerosa sind bis zu 20 blutige Durchfälle am Tag.

Die Entzündungen bei beiden Krankheitsbildern verlaufen in Schüben. Es gibt Phasen, in denen die Erkrankung ganz zur Ruhe kommt, und dann wiederum kann es Phasen mit starker Entzündung geben. Die betroffenen Menschen haben Bauchschmerzen und fühlen sich schlapp. Manche haben zusätzlich Gelenkschmerzen und Hautprobleme.

Die Darmentzündung zehrt an der körperlichen Substanz.

Was passiert denn im Darm?

Bei beiden Krankheiten ist die natürliche Barrierefunktion der Darmwand gestört, die diese normalerweise gegenüber Bakterien und anderen möglichen Eindringlingen aufweist. Durch die unvollständige Abwehr dringen Bakterien in die Darmwand ein. Dies führt zu einer Abwehrreaktion im Körper, die schliesslich aus dem Ruder läuft. Sprich: zu den Entzündungen führt.

In welchem Alter tritt die Krankheit auf?

Die Krankheit tritt am häufigsten im jungen Erwachsenenalter auf, etwa zwischen dem 18. und 30. Lebensjahr. Die Heftigkeit verliert sich jedoch oft mit zunehmendem Alter. Doch das Risiko für einen Entzündungsschub besteht immer, insofern kann nicht von Heilung gesprochen werden. Es gibt keinen Unterschied zwischen Frauen und Männern. Zunehmend sind auch Kinder betroffen.

Wo liegen die Ursachen von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa? Sind sie genetisch bedingt?

Der Auslöser ist noch nicht vollständig bekannt: Es handelt sich wahrscheinlich um das Zusammenwirken von genetischer Disposition und Umweltbedingungen. In der Schweiz konnten wir in den 1970er Jahren einen starken Anstieg von entzündlichen Darmerkrankungen verzeichnen. Dann war es eine lange Zeit stabil. Jetzt geht die Kurve jedoch wieder nach oben. Warum das so ist, ist Teil unserer Forschungen.

In Ländern, die seit kurzem eine rasante industrielle Entwicklung durchmachen, etwa in bestimmten Regionen Chinas oder in Südkorea, sind entzündliche Darmkrankheiten sprunghaft angestiegen. Das deutet darauf hin, dass Umweltbedingungen wie Ernährungs- und Fortbewegungsweisen eine Rolle für den Ausbruch der Krankheiten spielen. Die genaue Ursache für die Entstehung haben wir jedoch bisher noch nicht verstanden.

Prof. Gerhard Rogler: «Für die Langzeitstudie konnten bisher über zweitausend Betroffene gewonnen werden.»

Spielt Stress auch eine Rolle?

Stress ist nicht die Ursache für die Entstehung der Krankheit. Er kann jedoch die Entzündungsschübe auslösen. Vermehrt kommen Patienten zur Weihnachtszeit in die Praxen, wenn familiäre Konflikte aufbrechen. Auch Prüfungsstress kann Entzündungsschübe hervorrufen, Studierende zeigen häufig vor dem Semesterende entsprechende Symptome. 

Der Schweizerische Nationalfond hat Ihnen 4,7 Millionen Franken zugesprochen für die Verlängerung eines Kohortenprojekts zur Erforschung der entzündlichen Darmkrankheiten. Was genau möchten Sie mit der Studie erforschen?

Es geht um bessere Versorgungsmöglichkeiten, die wir möglichst schnell an die Patienten weitergeben möchten. Bis jetzt werden häufig Cortison und Immunsuppressiva verschrieben. Wir kennen die Langzeitwirkungen dieser Medikamente jedoch nicht. Ein Ziel der Studie ist es, hier mehr herauszufinden. Auch bezüglich der Ursachen (Umweltfaktoren, genetisches Risiko) möchten wir neue Erkenntnisse bekommen, da nur so verbesserte Therapien entwickelt werden können. Ziel wäre es, nicht mehr ungezielt das gesamte Immunsystem zu hemmen, was heute oft notwendig ist. Davor haben aber viele Patienten Angst. Betroffene, die an der Studie teilnehmen, werden wir jeweils über den Stand der neuesten Forschungsergebnisse informieren.

Wie sieht die Datenlage aus und wie kommen Sie zu den Probanden?

Initiator und bisheriger Leiter der Untersuchung, die 2005 gestartet wurde, war Professor Pierre Michetti von der Universität Lausanne. Er hat die Aufbauphase der Kohorte hervorragend geleitet. So können wir uns jetzt schon auf eine breite Datenbasis stützen. Dank der grosszügigen Unterstützung des Nationalfonds sind wir in der Lage, weitere Patienten mit in die Studie aufzunehmen und die notwendigen Langzeitdaten bei denen zu erheben, die schon dabei sind. Dazu möchten wir vermehrt die niedergelassenen Fachärzte mit ins Boot holen. Gerade die Daten über den Langzeitverlauf und die Spätwirkungen von Medikamenten sind bei einer lebenslangen Erkrankung ganz besonders wichtig.

Weshalb?

Die Patienten, die bei Fachärzten oder Hausärzten behandelt werden, zeigen häufig eine weniger gravierende Ausprägung der Darmkrankheiten. Um ein verlässliches Bild über die Verbreitung und Schwere der Erkrankungen schweizweit zu erhalten, ist es deshalb wichtig, auch Patienten der niedergelassenen Gastroenterologen oder Internisten in der Studie mit zu berücksichtigen.

Zudem arbeiten wir mit den Kinderspitälern zusammen. Insgesamt geht es um die Zusammenarbeit all derer, die sich mit dem Thema beschäftigen. Und natürlich auch mit den Betroffenen. Nicht zuletzt möchten wir in der Öffentlichkeit mehr Verständnis für Patienten schaffen, die unter entzündlichen Darmkrankheiten leiden, denn bis heute treffen sie vor allem am Arbeitsplatz häufig auf Unverständnis und Missachtung.