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Initiative «Schutz vor Waffengewalt»

Sinnvolle Suizidprävention

Am 13. Februar stimmen wir über die Volksinitiative «Für den Schutz vor Waffengewalt» ab. Vladeta Ajdacic-Gross ist Suizidforscher an der Klinik für Soziale Psychiatrie und Allgemeinpsychiatrie der Universität Zürich. Er sagt: Wird der Schusswaffenbesitz erschwert, gibt es weniger Schusswaffensuizide.
Roland Gysin

UZH News: Von 1998 bis 2007 nahmen sich in der Schweiz 13’410 Menschen das Leben, davon 3169 mit einer Schusswaffe. Würde sich daran nach Annahme der Volksinitiative «Für den Schutz vor Waffengewalt» etwas ändern?

Vladeta Ajdacic-Gross: Suizide sind von vielen Variablen abhängig. Eine davon ist die Verfügbarkeit des Suizidmittels. Ist es schwierig, an eine Schusswaffe heranzukommen, wird es auch weniger Schusswaffensuizide geben. Eine Studie aus Australien hat 2009 erstmals die Schusswaffenregister mit den Todesursachenregistern verglichen. Resultat: Wer eine Schusswaffe besitzt, hat ein doppelt so hohes Suizidrisiko wie Nicht-Schusswaffenbesitzer.

Schusswaffen-Graffiti: «In Schweizer Haushalten lagern über 2,3 Millionen Schusswaffen.»

In diesem Sinne ist die Initiative ein sehr sinnvoller Beitrag zur Suizidprävention. Gerade auch vor dem Hintergrund, dass kein europäisches Land so viele Schusswaffen aufweist wie die Schweiz. In Schweizer Haushalten lagern gemäss dem Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport über 2,3 Millionen Schusswaffen, davon mehr als 200'000 Armeewaffen, die im Gebrauch sind und 1,45 Millionen ehemalige Armeewaffen.

Sie haben von vielen Variablen gesprochen. Die Verfügbarkeit des Suizidmittels ist eine davon. Was noch?

Fast jeder zehnte Einwohner der Schweiz macht in seinem Leben einmal einen Suizidversuch. Gar jeder Zweite hat in seinem Leben einmal Suizidgedanken. Damit solche Gedanken in Krisensituationen nicht in die Tat umgesetzt werden, ist es entscheidend, Zeit zu gewinnen, um Gesprächsmöglichkeiten und – wenn nötig – Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Nicht alle Menschen sind bereit, sich andern Leuten anzuvertrauen oder haben ein funktionierendes Umfeld, das solche Situationen auffangen kann. Deshalb sind auch gut akzeptierte, niederschwellige Anlauf- und Beratungsstellen wichtig.

Welche Rolle spielt die Armeewaffe beim Suizid in der Schweiz?

Es gibt dazu eine aktuelle Studie von Thomas Reisch, Oberarzt an der Universitätsklinik für Psychiatrie, Universität Bern, veröffentlicht in der Schweizerischen Ärztezeitung.

Mit Einführung der Armee XXI 2004 wurde die Übernahme der Armeewaffe in den Privatbesitz erschwert und das maximale Dienstalter von 40 auf 30 Jahre reduziert. Das heisst, es sind heute weniger Armeewaffen im Privatbesitz als vor 2004. Die Folge: Mit Einführung der Armee XXI nahmen die Schusswaffensuizide bei 30- bis 40-jährigen Schweizer Männern um 48,6 Prozent ab.

Vladeta Ajdacic-Gross, Suizidforscher: «Fast jeder zehnte Einwohner der Schweiz macht in seinem Leben einmal einen Suizdiversuch.»

32,6 Prozent aller Männersuizide in der Schweiz geschehen durch eine Schusswaffe. Bei den Frauen sind es 3,4 Prozent. Weshalb dieser riesige Unterschied?

Nur die wenigsten Suizidenten gehen gezielt und geplant vor. Die meisten Suizide sind zufällig und abhängig von aktuellen äusseren Umständen oder geschehen spontan. Ein makabres Beispiel: Im Sommer wählen deutlich mehr Menschen den Ertrinkungstod als im Winter. Vereinfacht gesagt, die Leute ertränken sich dann, wenn das Wasser warm ist. Oder sie nehmen dann eine Überdosis Tabletten, wenn der Medikamentenschrank voll ist. Gelegenheit macht nicht nur Diebe, sondern auch Suizidenten.

Die Gelegenheit umfasst aber nicht nur die Verfügbarkeit, sondern auch die Fähigkeit, mit bestimmten Instrumenten umzugehen. Dadurch erklärt sich auch der Unterschied zwischen Mann und Frau. Männer kennen sich eher mit Waffen aus. Frauen verwalten den Apothekerschrank. Und in der Dritten Welt bringen sich die Menschen hauptsächlich mit Pestiziden um.