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Geschichte der Auffahrt

Vom römischen Ziegensumpf zur christlichen Apostelgeschichte

«Eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken», so steht es geschrieben in der Apostelgeschichte. Es ist die prägendste Darstellung der Himmelfahrt Christi. Doch die Vorstellung, dass irdische Wesen zum Himmel auffahren, ist älter als das Neue Testament.
Eva Ebel

Unter den biblisch begründeten kirchlichen Feiertagen gibt wohl kaum ein Tag so viele Rätsel auf wie die «Auffahrt». Der Begriff beschränkt sich auf eine Richtungsangabe und lässt offen, wer wohin fährt – ganz zu schweigen vom Warum dieser Fahrt.

Gibt der in Deutschland im kirchlichen Festkalender übliche Begriff der «Himmelfahrt» oder der «Christi Himmelfahrt» zumindest Ziel und Richtung der Fahrt an, sind die aktuell gebräuchlichen weltlichen Bezeichnungen komplett irreführend. So spricht man im westlichen Teil Deutschlands vom «Vatertag» oder im Osten des Landes vom «Herrentag». Dabei wird aber keineswegs an den Herrn Jesus Christus gedacht, der zum himmlischen Vater auffährt, sondern an die Männer, die – egal, ob Väter oder nicht – an diesem Tag unter ihresgleichen und zumeist mit viel Alkohol im Gepäck  unterwegs sind.

Mit dem Begriff und dem Fest «Auffahrt» wissen heute nur wenige etwas anzufangen. Und es stehen an diesem arbeitsfreien Tag ganz andere als kirchliche Aktivitäten im Zentrum. Umso mehr stellt sich die Frage, ob zu jener Zeit, als der Feiertag Eingang ins Neue Testament fand, die Menschen einen leichteren Zugang zur «Himmelfahrt» hatten. Und weiter, ob sie in der Lage waren, die dahinterstehende Botschaft zu entschlüsseln.

Darstellung der Himmelfahrt Christi, aus dem Rabbula-Evangeliar, einer syrischen Handschrift aus dem 6. Jahrhundert. 

Ist also das Phänomen «Himmelfahrt» ein genuin christliches, oder war es bereits in der Antike bekannt? Entsprechend den beiden Kulturkreisen, in denen sich die Verfasser der neutestamentlichen Schriften und ihre ersten Leserinnen und Leser bewegten, ist nach vergleichbaren Erzählungen im alttestamentlich-jüdischen Bereich und in der griechisch-römischen Welt zu suchen.

Romulus entschwindet in einer Wolke

Die berühmteste römische Himmelfahrt ist die des legendären Stadtgründers Romulus, die der Geschichtsschreiber Titus Livius (59 v. Chr. bis 17 n. Chr.) so erzählt (Ab urbe condita 1,16,1–3): «Als er nach diesen unsterblichen Taten zur Musterung des Heeres auf dem Marsfeld beim Ziegensumpf eine Heeresversammlung durchführte, brach plötzlich mit lautem Tosen und Donnern ein Unwetter los und verhüllte den König mit einer so dichten Wolke, dass die Versammlung ihn nicht mehr sehen konnte; und danach war Romulus nicht mehr auf der Erde. Als sich endlich die Panik gelegt hatte (…), grüssten alle Romulus als Gott, der von einem Gott geboren worden ist, und als Vater der Stadt Rom; betend baten sie um Frieden, dass er immer gern und gnädig sein Volk behüten möge.»

Romulus verschwindet also mitten aus dem Leben in einer Wolke gen Himmel, was die Zurückgelassenen zunächst in Angst und Schrecken versetzt, dann aber von ihnen als Zeichen seiner Göttlichkeit ausgelegt wird und ihn zum Garanten für Frieden und Schutz werden lässt.

Mehr noch: Der zum Himmel aufgefahrene Stadtgründer wird bald darauf sogar zum Gewährsmann einer Weltherrschaft Roms, die sich auf militärische Macht gründet. Titus Livius berichtet von einem Zeugen, dem der kurzfristig zur Erde zurückgekehrte Romulus begegnet sei und der eine solche Ankündigung gemacht habe.

Jesus fährt auf

Wie verhält sich nun die Himmelfahrt des Romulus zur Himmelfahrt Jesu? Nähert man sich dem biblischen Bericht, fällt zunächst zweierlei auf: Zum einen findet sich eine Schilderung der jesuanischen Himmelfahrt ausschliesslich bei Lukas, nämlich sowohl am Ende des nach ihm benannten Evangeliums als auch am Anfang seiner Apostelgeschichte. Zum anderen weisen beide Fassungen trotz des identischen Verfassers Unterschiede auf, was zum Beispiel Ort und Zeit der Himmelfahrt betrifft.

Der ausführlichere und alle bildlichen Darstellungen prägende Bericht steht in der Apostelgeschichte 1,9–11: «Als er dies gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken. Und während sie ihm unverwandt nachschauten, wie er in den Himmel auffuhr, da standen auf einmal zwei Männer in weissen Kleidern bei ihnen, die sagten: Ihr Leute aus Galiläa, was steht ihr da und schaut hinauf zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen wurde, wird auf dieselbe Weise wiederkommen, wie ihr ihn in den Himmel habt auffahren sehen.»

Weichen für die Zukunft

Das Inventar der biblischen Erzählung erinnert an die Erzählung des Livius über Romulus, auch wenn es hier nicht um einen irdischen Menschen, sondern um einen «Sonderfall», nämlich einen Auferstandenen, geht: Es sind Zeugen anwesend, eine Wolke verhüllt den Vorgang, die ganze Person und nicht etwa nur ihre Seele verschwindet. Die Zurückgelassenen sind ratlos.

Rund um beide Himmelfahrten werden jeweils die Weichen für eine verheissungsvolle Zukunft gestellt, und zwar der Abwesenheit der Gründergestalten zum Trotz: Die Himmelfahrt Jesu beendet für Lukas definitiv die Erscheinungen des Auferstandenen, was mit dem Ende der Wirksamkeit seiner Botschaft identisch sein könnte.

Zugleich treten aber auch die Unterschiede zwischen dem Imperium Romanum und dem christlichen Reich zutage: Grundlage der römischen Macht ist militärische Stärke. Das Christentum hingegen breitet sich durch das Wort, nämlich die Verkündigung der Apostel, weltweit aus. Die Machtansprüche der von Romulus und Jesus gegründeten Herrschaften treffen in der alltäglichen Lebenswelt der Christinnen und Christen der Antike aufeinander.

Geradezu ins Bild gesetzt wird dieses Konkurrenzverhältnis dann, wenn die Vergöttlichung der römischen Kaiser nach dem Vorbild der Himmelfahrt des Romulus inszeniert wird und die antiken Menschen vor die Frage gestellt werden, wer für sie göttliche Verehrung verdient: Romulus und die vergöttlichten Kaiser oder der eine Gott und sein Sohn Jesus Christus?

Für Lukas zumindest ist die Antwort eindeutig. Durch die Verwendung eines bekannten religiösen Motivs seiner Zeit, das auch in der Propaganda des Imperium Romanum in Gebrauch war, gelingt ihm eine Aussage von hohem christologischen Gehalt und zugleich politischer Brisanz.