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125 Jahre Deutsches Seminar

Professoren im Wandschrank

Von Gottfried Kellers Testament bis zur Seminararbeit von Franz Hohler: Wer die Jubiläumsausstellung des Deutschen Seminars besucht, den erwartet bis zum 25. November eine Fülle von Fund- und Schriftstücken aus der 125-jährigen Institutsgeschichte. Dazu gibt es eine Podiumsdiskussion und das Jubiläumsbuch «Lieblingsstücke». UZH News verlost drei Exemplare.
Alice Werner

Leuchtpunkte in Orange führen durchs Haus an der Schönberggasse 9. Sie markieren die einzelnen Stationen der gerade eröffneten Ausstellung. Inhaltlich weist der Titel den Weg: «125 Jahre Deutsches Seminar 1886–2011». Eine Jubiläumsausstellung, die nicht chronologisch vorgeht, sondern eher wie ein Ausstellungsessay funktioniert. Sie ordnet die Fülle der Fund- und Schriftstücke zur Geschichte des Deutschen Seminars nach Themen: «Gymnasium und Universität», «Berufsfelder», «Umbrüche». Sie lässt Professoren und Studierende zu Wort kommen, Ehemalige, Schriftsteller, Zeitzeugen. Zu lesen gibt es Persönliches und «Hochamtliches» über Freundschaften und Universitätspolitik, Lehre, Literatur und Forschung.

125 Jahre Deutsches Seminar: Die Jubiläumsausstellung beleuchtet Geschichte und Gegenwart einer Institution zwischen Literatur, Lehre und Forschung. 

Die elitäre «Freitagsrunde»

Die thematische Konzeption der Ausstellung geht auf. Denn wie man beim Rundgang schnell feststellt: Seit die Direktion des Erziehungswesens des Kantons Zürich 1886 «dem Bedürfnis Rechnung getragen [hat], für (...) das Fach der deutschen Sprache eine Einrichtung zu treffen», mischen die Mitglieder des Deutschen Seminars im Kultur- und Gesellschaftsleben der Stadt kräftig mit: als Begründer des «Schweizerdeutschen Wörterbuchs», als Dichter und Dialektschriftsteller, als Herausgeber und Diskussionspartner befreundeter Schriftsteller und Feuilletonisten.

Zu einiger Berühmtheit brachte es die elitäre «Freitagsrunde», ein literarischer Zirkel aus Zeitungsredaktoren, Verlegern und Professoren des Deutschen Seminars. Über zwanzig Jahre, von 1942 bis 1965, traf man sich regelmässig zum Stammtisch im Café Odeon, um bei Wein und Rauchwaren zu debattieren und kommentieren.

Gymnasium und Universität

Die Professoren des Deutschen Seminars sind ebenfalls eng mit dem Schulbetrieb verbunden – als Betreuer von Maturaprüfungen, als Gastdozenten und Fachexperten bei praktischen Lehrdiplomsprüfungen. Und dies seit Gründung des «Seminars» Ende des 19. Jahrhunderts als universitäre Form der Lehrerausbildung. Anspruch auf eigene Räumlichkeiten im Universitätsgebäude hatte das Deutsche Seminar anfangs nicht. So mussten die Professoren 1890 einen offiziellen Antrag auf das «kleine Wartezimmer neben dem Senatszimmer» stellen.

Auch die Qualität der Ausbildung schien verbesserungswürdig, wie Studierende der «Pädagogia», einer Vereinigung von Lehramtskandidaten, in einem Brief «an den Erziehungsdirector und die Erziehungsräte» des Kantons festhielten: «(…) Ihrem Namen nach könnte diese Vorlesung [Repetitorium der deutschen Literatur mit stilistisch-rhetorischen Übungen] gerade die Früchte zeitigen, die wir von einem gut geleiteten deutschen Seminar erwarten; allein wir müssen offen gestehen, dass der Besuch genannten Curses nicht den Nutzen darbietet, den man sich von ihm verspricht.»

Als Beispiel für erfolgreiche Kooperationen zwischen Gymnasien und dem Deutschen Seminar wird in der Jubiläumsausstellung das Projekt «Tell und die Schule» näher beleuchtet. In der Auseinandersetzung mit künstlerischen Adaptionen des Mythos Tell zeigten die Deutschlehrer und Universitätsdozenten Heinz Lippuner und Heinrich Mettler neue Wege auf, wie literaturwissenschaftliches Arbeiten in den Schulunterricht integriert werden kann. Ihre Publikationen zum Thema – «Schillers Tell – für die Schule neu gesehen» und «Tell und die Schweiz – die Schweiz und Tell» – machten den helvetischen Heldenstoff als Schullektüre wieder möglich.

Stimmen und Meinungen

Eine Institutsgeschichte zu erzählen, heisst auch, die Geschichte ihrer Akteure zu erzählen – oder erzählen zu lassen. So stösst man in der ideenreich kuratierten Ausstellung an allen Themenstationen auf Meinungen, Aussagen und Porträts bekannter und unbekannter, ehemaliger und aktueller Angehöriger des Deutschen Seminars. In kurzen Statements berichten frühere Studierende – wie die Publizistin Klara Obermüller und der Kulturjournalist Werner Morlang –, welche zentrale Bedeutung ihre akademische Ausbildung für ihren weiteren Lebensweg hatte.

Eine berühmte Ausnahme bildet Franz Hohler, der im 5. Semester «unter Zurücklassung zweier Seminararbeiten» sein Germanistikstudium abbrach, «um sich als freischaffender Autor und Bühnenkünstler zu versuchen». Auch wenn er sich eine akademische Karriere nicht vorstellen konnte: Hohler, der Sprachkünstler, zeigte offensichtlich auch akademisches Talent. Seine Arbeit «Die Wortzusammensetzung im Heliand bei Substantiv und Adjektiv» wurde vom betreuenden Dozenten mit 5½+ bewertet und für seine gedankliche Tiefe und das sprachwissenschaftlich-stilistische Verständnis gelobt.

Studieren – heute und gestern

Auch die historische Entwicklung des Instituts wird am Beispiel von Studentenbiografien illustriert. Die Eckpunkte markieren dabei zwei Frauen: die Skandinavistin Adeline Rittershaus, die 1898 als erste Frau an der Universität Zürich mit einer «Studie zu den Ausdrücken für Gesichtsempfindungen in den altgermanischen Dialekten» habilitierte, und Karina Frick, die ihr Studium dieses Semester mit dem Master abschliesst.

Der Wandel der Zeiten, das veranschaulichen die Vitrinen zum Thema «Studium heute und gestern», lässt sich an vielen Veränderungen ablesen – vom Anstieg der Studierendenzahlen bis zur Höhe des Semesterbeitrags. Am deutlichsten aber zeigt die Öffnung der Universitäten für Frauen die gesellschaftliche Entwicklung. «Der Professor» und «der Assistent» gehören der Vergangenheit an: Die grosse Mehrheit am Deutschen Seminar ist heutzutage «die Frau».

Ein grosszügiges Testament

Überraschend: die enge Bindung Gottfried Kellers an die Universität Zürich. Aus Briefen, Gutachten, Notizen und Kuratorenbeiträgen erfährt man: Er, der als Fünfzehnjähriger der Schule verwiesen wurde und später das Angebot einer Professur am Polytechnikum ablehnte, förderte grosszügig die Karriere anderer – etwa die Laufbahn Jakob Baechtolds, des ersten Literaturprofessors am Deutschen Seminar.

Als Keller 1890 starb, hatte er in seinem Testament die Hochschulstiftung als Universalerbin eingesetzt. Vielleicht beteiligt sich das Deutsche Seminar auch deshalb intensiv an der Erschliessung seines Werks: Die historisch-kritische Ausgabe, konzipiert und herausgegeben unter anderem von Ursula Amrein, Titularprofessorin für Neuere deutsche Literatur, wird nun erstmals in seinem vollen Umfang zugänglich gemacht – in Buch- und elektronischer Form.

Sprachatlas der deutschen Schweiz

Zum Schluss des Rundgangs ein Blick ins zweite Obergeschoss. Denn was wäre ein Institut ohne seine Professorinnen und Professoren? Wer mehr über die heutigen Lehrstuhlinhaber des Deutschen Seminars und ihre Teams erfahren möchte, kann in den Gängen neugierig die Wandschränke öffnen. Wo man Aktenordner und verstaubte Seminararbeiten vermuten würde, präsentieren sich die Professoren mit Bild, Text und handfestem Anschauungsmaterial zu ihrer Forschung.

Elvira Glaser, Professorin für Germanische Philologie, informiert den Besucher über dialektologische Forschungsprojekte ihrer Arbeitsgruppen. Zum Beispiel über den «Kleinen Sprachatlas der deutschen Schweiz», der auf 120 grafisch gestalteten Landkarten den schweizerdeutschen Wortschatz und die Vielfalt der Dialekträume darstellt.

Als Andenken darf sich der Besucher eine Postkarte aussuchen, auf der Geschichte, Herkunft und grammatische Spezifika eines Wortes allgemeinverständlich erläutert werden. Die oberste Postkarte im Stapel informiert über Chueche und Wähe – «Flachkuchen mit Belag».