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Human Resource Management

Fachwissen bei Beförderungen sekundär

Die Ökonomin Eva-Maria Aulich hat herausgefunden, dass nicht die fähigsten Mitarbeiter am ehesten beruflich weiterkommen, sondern dass primär befördert wird, wer sich am stärksten selbst überschätzt. Vorgesetzte sollten sich also vor einer Beförderung zwei Mal fragen, ob sie die Kompetenzen einer Person wirklich richtig eingeschätzt haben.
Interview: Roland Gysin

UZH News: Frau Aulich, Sie arbeiten am Lehrstuhl für Human Resource Management an der Universität Zürich. Eine der Arbeiten im Rahmen Ihrer Dissertation läuft unter dem Titel «Skilled or just overconfident» ab. Worum geht es?

Eva-Maria Aulich: Ich wollte herausfinden, ob in einem Unternehmen tatsächlich die Besten befördert werden oder ob diejenigen die grössten Beförderungschancen haben, die sich für besser halten, als sie sind.

Junger Angestellter: «Je konfidenter ein Mensch auftritt, desto kompetenter schätzt ihn sein Gegenüber ein.»

Ich habe untersucht, welches Ausmass die sogenannte Überkonfidenz auf die Beförderungswahrscheinlichkeit hat. Diese Fragestellung ist neu. Bisher wusste man nur, dass gerade auf höheren Hierarchiestufen überkonfidente Menschen anzutreffen sind; nicht aber, wie sie dorthin gelangt sind. Eine mögliche Erklärung ist, dass ihnen ihre Selbstüberschätzung zu der Position verholfen hat.

Und ist es so?

In der Tat, wer denkt, er könne mehr, als er tatsächlich kann, hat die grössten Chancen auf eine Beförderung. Der Überkonfidenz-Effekt spielt eine viel stärkere Rolle als etwa das tatsächliche Fachwissen. Es werden nicht die fachlich Besten befördert, wenn auch nicht die Schlechtesten, sondern der Durchschnitt. Der Überkonfidenzeffekt überstrahlt also den Kompetenzeffekt.

Wie sind Sie methodisch vorgegangen?

Ich habe ein Längsschnitt-Realexperiment durchgeführt. Mein Ziel war, eine echte Beförderungssituation zu untersuchen. So sollte sichergestellt werden, dass es keinesfalls die Intention des Entscheiders ist, dass die Überkonfidentesten befördert werden.

Eva-Maria Aulich: «Überkonfidenz hat nicht nur negative Seiten.»

In vier experimentellen Sitzungen habe ich insgesamt 699 Rekruten der Schweizer Armee auf Überkonfidenz getestet. Die Armee habe ich deshalb ausgewählt, weil Beförderungen dort regelmässig, in grossen Wellen und zu bekannten Zeitpunkten durchgeführt werden.

Ein weiterer Vorteil dieser Stichprobe ist, dass die Abläufe der Ausbildung und der Beförderungen äusserst standardisiert sind. Dazu kommt, dass aufgrund der homogenen Stichprobe von ausschliesslich jungen Schweizer Männern verschiedene «Störvariablen» wie kulturelle Herkunft, Alter oder Geschlecht eliminiert werden konnten. Denn je diverser eine Stichprobe ist, desto schwieriger sind verlässliche Aussagen und desto mehr stellt sich die Frage, welche anderen Effekte den Haupteffekt überlagern.

Lassen sich die Aussagen einer Rekrutenbefragung generalisieren? Ist die Armee mit einem Unternehmen vergleichbar?

Beförderungen sollen vor allem eine Selektions- und eine Motivationsfunktion erfüllen. Das gilt für die Schweizer Armee genauso wie für jedes andere Unternehmen. Die Armee möchte zudem genau wie jedes Privatunternehmen, dass nur die fähigsten Kandidaten befördert werden. Hinsichtlich dieses Ziels gibt es keine Unterschiede. Unterschiede können jedoch sehr wohl hinsichtlich Unternehmenskultur und Struktur bestehen.

Hätte ich ein Feldexperiment in einer Versicherung oder einer Bank durchgeführt, würde sich jedoch dieselbe Frage stellen: Inwiefern wären die Ergebnisse zum Beispiel für den Industriesektor repräsentativ? Ob die Ergebnisse übertragbar sind, ist erstens und vor allem eine Frage der mit einer Beförderung angestrebten Ziele, zweitens der Unternehmenskultur und -struktur und drittens der Beförderungsprozesse und der Beförderungskriterien. Je ähnlicher, desto eher sind die Ergebnisse übertragbar.

Dennoch: Bei Ihrem Setting kommen keine Frauen vor, keine Ausländer, und alle Probanden sind praktisch gleich alt.

Das ist richtig. Dies hatte die zuvor genannten methodischen Vorteile. Es bedeutet jedoch auch zugleich, dass bezüglich dieser Personengruppen weiterhin Forschungsbedarf besteht. Natürlich hätte ich zum Beispiel gerne Frauen in der Stichprobe gehabt. Denn aus der Forschung ist bekannt: Frauen sind generell weniger überkonfident als Männer, und Frauen werden seltener befördert. Spannend wäre nun, herauszufinden, ob ihre weniger stark ausgeprägte Überkonfidenz dafür verantwortlich ist. Vielleicht wirkt sich Überkonfidenz bei Frauen aber auch gerade nicht positiv auf die Beförderungswahrscheinlichkeit aus.

Weshalb haben Sie ein «Feldexperiment» mit Rekruten gewählt und nicht ein Laborexperiment mit unterschiedlichen Probandengruppen?

Ich wollte eine echte Beförderungssituation mit den mit einer Beförderung verbundenen weit reichenden Konsequenzen für das befördernde Unternehmen. Bei einem Laborexperiment ist es kaum möglich, ein solches Setting zu kreieren.

Wie sind Sie damit umgegangen, dass viele Rekruten gar nicht befördert werden wollen?

Dieser Tatsache war ich mir sehr wohl bewusst. Deshalb habe ich auch explizit danach gefragt, ob jemand befördert werden wollte. Auch in der Privatwirtschaft ist es übrigens so, dass nicht alle Karriere machen möchten. Mit einer Beförderung ist mehr Verantwortung und mehr Stress verbunden – das wollen nicht alle.

Zudem stand nicht im Fokus, wer befördert wurde, sondern wer von seinen Vorgesetzten ein Beförderungsangebot erhalten hatte. Der Beförderungswunsch hat somit nur indirekt einen Einfluss, indem sich Menschen, die befördert werden wollen, wahrscheinlich mehr anstrengen, um eine positive Leistung zu erbringen.

Welche Lehren können Vorgesetzte aus Ihren Untersuchungen ziehen, wenn sie Beförderungen vornehmen möchten?

Vorgesetzte sollten vermehrt objektive Faktoren in die Beförderungsentscheidungen mit einbeziehen. Sprich, mit Tests das spezifische Fachwissen erfragen und sich Arbeitsproben anschauen, und weniger darauf vertrauen, wie ihr subjektiver Eindruck von der Kompetenz eines Mitarbeitenden ist.

Eine Führungskraft muss sich bewusst sein: Je konfidenter ein Mensch auftritt, desto kompetenter schätzt ihn sein Gegenüber ein. Überkonfidenz kann daher leicht als hohe Kompetenz missinterpretiert werden.

Ist es nicht so, dass eine gehörige Portion Überkonfidenz für Leute, die Karriere machen wollen, einfach dazugehört?

Überkonfidenz hat nicht nur negative Seiten. Grundsätzlich kann man zwischen Entscheidungs- und Handlungssituationen unterscheiden. Während Entscheide möglichst auf einer realistischen Einschätzung der Situation beruhen sollten, kann Überkonfidenz motivierend wirken, wenn die Entscheidung bereits gefallen ist und sie umgesetzt werden soll.

Habe ich mich zum Beispiel dazu entschieden, eine Dissertation zu schreiben, kann ein Hauch Überkonfidenz helfen, das Projekt auch bis zum Schluss durchzuziehen. Der Entscheid selbst, ob ich eine Dissertation beginnen möchte, sollte ich aber besser unter einer realistischen Selbsteinschätzung treffen.

Gerade bei Beförderungsentscheiden ist es wünschenswert, dass wirklich die Besten befördert werden. Nicht nur aufgrund der erhöhten Gefahr von unter Überkonfidenz getroffenen Fehlentscheiden durch die Beförderten, oder weil die wirklich Besten so demotiviert werden, sondern auch weil Beförderungen andernfalls Fehlanreize auslösen können: Beförderungskandidaten haben einen Anreiz, bewusst überkonfident aufzutreten, wenn sie den Zusammenhang kennen. Ist sich der Vorgesetzte aber des Überkonfidenz-Effekts bewusst, dann ist schon viel erreicht.

Vorgesetzte sollten sich also zwei Mal fragen, ob sie die Kompetenz einer Person wirklich richtig eingeschätzt haben. Gibt jemand nur vor, etwas zu wissen, oder weiss er tatsächlich Bescheid.

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