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Bibelforschung

Wer schrieb die fünf Bücher Moses?

Die fünf Bücher Moses – Pentateuch genannt – sind das Kernstück des Alten Testaments. Unklar ist, wie sie entstanden sind. Bibelwissenschaftler aus Europa, Israel und USA trafen sich in Zürich und diskutierten über die Geschichte der wohl wirkungsmächtigsten Texte der Weltliteratur.
Konrad Schmid

Pentateuch ist der griechische Ausdruck für die fünf Bücher Moses im Alten Testament: Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri und Deuteronomium. Der Pentateuch ist das literarische Kopfstück und der sachliche Kern des hebräischen Bibelkanons. Er vereinigt in sich die wohl bekanntesten und wirkungsmächtigsten Texte der Weltliteratur von der Schöpfung bis zum Tod Moses.

Bibelforscher im Gespräch: Fundamentale Umwälzungen in der alttestamentlichen Wissenschaft.

Dass dieser erzählerische Zusammenhang nicht von einem Autor stammen kann, sondern in einem mehrfach gestaffelten literarischen Prozess entstanden ist, gehört zu den unhintergehbaren Resultaten der über 200 Jahre alten Bibelwissenschaft. Trotz intensiver Forschungen ist die literarische Entstehung jedoch nach wie vor ungeklärt.

Zunehmend Zweifel an alter Lehrmeinung

Ende des 19. Jahrhunderts etablierte sich die sogenannte «Neuere Urkundenhypothese» in der Formulierung des deutschen Alttestamentlers Julius Wellhausen als eine allgemein anerkannte Rahmenthese. Hauptaussage: Die drei aus unterschiedlichen Zeiten stammenden Quelltexte «J» (für Jahwist), «E» (für Elohist) und «P» (für Priesterschrift) seien fortlaufend und sukzessive ineinandergearbeitet worden.

In den letzten 30 Jahren wurden an der «Neuere Urkundenhypothese» Zweifel laut. Diese Unsicherheiten mit Blick auf die Entstehung des Pentateuch hängen vor allem damit zusammen, dass alttestamentliche Texte nur in Abschriften von Abschriften erhalten sind (das älteste vollständige Alte Testament stammt aus dem Jahr 1008 n. Chr.) und im Wesentlichen nur aufgrund inhaltlicher Argumente, nicht externer Evidenzen datierbar sind.

Die Bibel: Texte des Alten Testaments nur in Abschriften von Abschriften vorhanden.

Die divergente Diskussionslage zur Literatur-, Rechts- und Theologiegeschichte des Pentateuch hat ihren Wurzelgrund in fundamentalen Umwälzungen in der alttestamentlichen Wissenschaft, die ihr Gesicht in der letzten Forschungsgeneration stark verändert haben.

Gesamttheologische Paradigmen im Gegenwind

Für diese Veränderungen gibt es verschieden Gründe: Die Archäologie hat erstens eine Vielzahl von neuen Erkenntnissen hervorgebracht, die für das historische Bild der Religion und Literatur des antiken Israel entscheidend sind.

Die alttestamentliche Wissenschaft ist zweitens in einer pluralistisch gewordenen theologischen Landschaft (selbst)kritischer geworden gegenüber gesamttheologischen Paradigmen, die die historische Arbeit beeinflussen.

Und drittens die literarische Vorstufenrekonstruktion an alttestamentlichen Texten hat sich in vielen Bereichen von traditionellen, aber unhaltbar gewordenen Paradigmen gelöst und neue Perspektiven erbracht. In dieser neuen Situation der alttestamentlichen Wissenschaft insgesamt orientiert sich auch die Pentateuchforschung neu.

Klassische Forschung in Israel mit viel Rückhalt

Für ihre jüngsten Phasen ist festzustellen, dass sie – wohl vor allem aufgrund unterschiedlicher wissenschaftshistorischer Prägungen – in den drei wichtigsten Wissenschaftskulturen, die den Pentateuch erforschen, nämlich in Nordamerika, Israel und Europa, mit ganz unterschiedlichen Grundlagen, Methoden und Resultaten betrieben wird.

In Israel geniesst die «Neuere Urkundenhypothese» in ihrer klassischen Gestalt nach wie vor hohe Anerkennung. Vor allem die an der Hebräischen Universität in Jerusalem betriebene Pentateuchforschung sieht die Zukunft in der Verfeinerung, nicht der Verabschiedung der Herausarbeitung der Quellen «J», «E» und «P» für die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte des Pentateuch.

Grosses Interesse geniessen vor allem die sogenannten priesterschriftlichen Texte unter dem Siglum „P“. Sie werden besonders intensiv erforscht.

Skeptischer Blick aus Europa

Ganz anders als in Israel hat sich die europäische Diskussion von der «Neueren Urkundenhypothese» weit entfernt. Mehr und mehr hat die Überzeugung Raum gegriffen, dass der Pentateuch im Wesentlichen aus thematischen Blöcken («Urgeschichte», «Vätergeschichte», «Mose-Exodus-Geschichte») und weniger aus durchlaufenden Quellen («Jahwist», «Elohist», «Priesterschrift») zusammengestellt worden ist.

Namentlich die beiden mutmasslich ältesten Quellen – «J» und «E» – werden in der europäischen Forschung höchst skeptisch betrachtet, während über die Unterschiede von «priesterlichen» («P») und «nicht-priesterlichen» Textanteilen nach wie vor ein vergleichsweise grosser Konsens herrscht.

Sprachhemmnisse in den USA

Die nordamerikanische Pentateuch-Diskussion hingegen hängt wie diejenige in Israel noch stark am Modell der «Neueren Urkundenhypothese». Sie hat sich jedoch in verschiedenen Bereichen von den europäischen Entwicklungen beeinflussen lassen, auch wenn Sprachhemmnisse es oft verhindern, dass deutsch- oder französischsprachige Beiträge aus Europa in den USA angemessen rezipiert werden.

Darüber hinaus werden in Nordamerika zahlreiche nicht historisch ausgerichtete Zugangsweisen zur biblischen Literatur gepflegt, die die Frage nach der Entstehung etwa des Pentateuch nicht oder nicht in den Vordergrund stellen. Diese auffällig divergente Situation der Pentateuchforschung fordert nachgerade eine wissenschaftliche Reflexion heraus.

Wie ist es zu erklären, dass derselbe Gegenstand in drei hoch entwickelten akademischen Kulturen derart unterschiedlich angegangen und interpretiert wird? Lassen sich, bei allen Divergenzen, auch Konvergenzen der wissenschaftlichen Grundlagen, Methoden und Resultate erkennen? Wie sind die drei unterschiedlichen Kulturen zueinander in Beziehung zu bringen? Wie können sie voneinander profitieren?

Die Forschung wächst zusammen

Die in Zürich durchgeführte Tagung setzte sich zum Ziel, das internationale Gespräch zu intensivieren und so die Wissenschaftskulturen in Israel, Europa und den USA diskursiv einander anzunähern.

Es ging dabei nicht darum, eine neue «Einheitslösung» zu finden oder gar zu formulieren. Vielmehr bestand das Hauptinteresse darin, die Differenzen in Voraussetzungen, Methoden und Resultaten der Forschung in den unterschiedlichen wissenschaftlichen Kulturen deutlich wahrzunehmen und künftige Arbeiten im Bewusstsein internationaler Diversität anzugehen.

Bei allen Differenzen im Einzelnen und Allgemeinen sind zahlreiche Kontaktpunkte und Anschlussfähigkeiten zwischen verschiedenen Forscherinnen und Forschern sichtbar geworden. Die internationale Pentateuch-Forschung wächst zusammen und bereits sind Folgeveranstaltungen in den Blick genommen worden.

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