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10. Dezember: Tag der Menschenrechte

«Jeder will sich im Spiegel anschauen können»

Wo viel Geld zu verdienen ist, geraten Menschenrechte oft unter die Räder. Das neue Schweizer Kompetenzzentrum für Menschenrechte unterstützt Unternehmen darin, sozial verantwortlich zu handeln, sagt Christine Kaufmann, Professorin für Staats- und Völkerrecht an der Universität Zürich. Christine Kaufmann ist neu Zentrumsleiterin für den Bereich Wirtschaft und Recht. 
Interview: Marita Fuchs

Frau Kaufmann, Menschenrechte gelten für Staaten, gelten sie auch für Unternehmen?

Es gibt internationale Abkommen, die genau festlegen, was zum Beispiel ausbeuterische Kinderarbeit ist. Doch all diese Abkommen richten sich an Staaten und nicht an Unternehmen. Die Unternehmen fallen im Völkerrecht durch die Maschen des Systems, obwohl sie einen enorm grossen Einfluss auf die Gesellschaft haben. Die Uno hat deshalb während Jahrzehnten versucht, einen Kodex zu erstellen, der Unternehmen in die Pflicht nimmt, gab dieses Vorhaben aber 2004 auf.

Zurzeit erarbeitet John Ruggie, Rechtsprofessor in Harvard, für die Uno ein Konzept, wie man Unternehmen einbinden kann. Der von ihm vorgeschlagene Rahmen «Protect, respect and remedy» basiert darauf, dass die Verantwortung geteilt wird: Nicht nur die Staaten müssen Menschenrechte einhalten, sondern auch die Unternehmen. Zudem sollen die Opfer, an die bis heute niemand gedacht hat, miteinbezogen werden. Sie sollen eine Chance zur Wiedergutmachung erhalten.

Ich bin davon überzeugt, dass wir mit diesem Ruggie-Prozess an einem Wendepunkt stehen, denn viele Unternehmen geben ein klares Bekenntnis für die Menschenrechte ab.

Können Sie das an einem Beispiel illustrieren?

In der Schweiz sind 80 Prozent der Firmen kleinere und mittlere Unternehmen (KMU). Sie haben oft nicht die Ressourcen, genau herauszufinden, unter welchen Bedingungen Produktionsteile hergestellt wurden. Ich hatte kürzlich einen interessanten Einblick in die Arbeit einer kleinen High-Tech-Firma. Sie stellt Kühlschränke für Forschungszwecke her und ist international vernetzt.

Der Firmeninhaber wollte sich keiner Menschenrechtsverletzung schuldig machen und hat sich eine Liste von Amnesty International besorgt, auf der Länder eingezeichnet waren, in denen gefoltert wird. Einige deckten sich mit seinen Produktionsstandorten. Dort, wo das der Fall war, hat er persönlich versucht, herauszufinden, unter welchen Bedingungen produziert wird. Er ist davon ausgegangen, dass in einem Land, in dem gefoltert wird, die Menschenrechtssituation generell nicht die beste ist, und hat sich entschieden, der Sache persönlich auf den Grund zu gehen. Das ist natürlich sehr aufwendig. 

Solchen KMUs bei ihren Abklärungsarbeiten zu helfen, ist eine der Aufgaben des neuen Zentrums für Menschenrechte, im speziellen für den Bereich Wirtschaft und Menschenrechte. Der Unternehmer kann bei uns nachfragen, auf was er achten muss, wenn er im Ausland etwas produzieren lassen möchte. 

Physisch, psychisch und ökonomisch ausgebeutet: Ein Kind arbeitet auf einer Plantage.

In der Schweiz wird viel Schokolade gegessen, der Kakao wird auf Plantagen in Westafrika durch Kinder geerntet. In welcher Verantwortung stehen Schweizer Schokoladehersteller?

Die Verhältnisse auf einigen dieser Plantagen gehen sogar über Kinderarbeit hinaus, es handelt sich zum Teil um Sklaverei. Nicht nur, dass die Kinder keine Schulbildung erhalten, sie werden auch physisch, psychisch und ökonomisch ausgebeutet. Doch ein Boykott der Produkte wäre kontraproduktiv. Die Kinder sind angewiesen auf das wenige Geld, das sie verdienen. Wenn der Schweizer Hersteller jetzt auf den Lieferanten vor Ort verzichtet, wird dieser die Kinder entlassen. Ein Boykott bei Kinderarbeit hat bis heute keinem Kind geholfen. Besser ist es, wenn Unternehmen Druck auf die Lieferanten ausüben, indem sie sich teilweise zurückziehen und in die Ausbildung der Kinder investieren.

An diesem Beispiel kann man gut das Dilemma der Unternehmen zeigen. Häufig wissen sie gar nicht, woher der Kakao kommt, etwa wenn sie ihn an Rohstoffbörsen kaufen. Das ist ein echtes Problem. Will der Unternehmer etwas ändern, muss er entweder die ganze Produktionskette überwachen, was häufig praktisch kaum durchführbar ist, oder direkt bei den Bauern einkaufen, das macht seine Produktion aber unter Umständen teurer, als wenn er auf einen Grosslieferanten zählen kann.

Und damit sind wir beim Konsumenten. Als Käuferin muss ich mich dafür interessieren, wo und wie meine Schokolade hergestellt wurde, und letztlich bereit sein, für faire Produktionsbedingungen auch mehr zu bezahlen. Mit staatlicher Regulierung allein ist das Problem kaum zu lösen. Wir müssen selbst Verantwortung übernehmen und die Werte, die uns wichtig sind, in unserem persönlichen Alltag leben und umsetzen.

Christine Kaufmann, Leiterin «Wirtschaft und Menschenrechte» am neuen Zentrum für Menschenrechte: «Wir müssen selbst Verantwortung übernehmen.»

Gewinnen Firmen, die Fair-Trade-Produkte anbieten und darauf achten, dass ihre Produkte nicht unter Verletzung der Menschenrechte hergestellt werden, auf Dauer mehr Sympathie bei der Kundschaft ?

Ja, es hat unter den Kunden ein Bewusstseinswandel stattgefunden. Aber es ist nicht nur der Druck von aussen, auch Angestellte wollen nicht für eine Firma arbeiten, die an Menschenrechtsverletzungen beteiligt ist. Jeder will sich im Spiegel anschauen können. Gleichzeitig ist aber auch die Verunsicherung sehr gross. Denn bei einer langen Produktionskette ist es schwierig, sämtliche Schritte zu überwachen. Zudem sollten die Unternehmen eine Kultur fördern, die es den Mitarbeitenden erlaubt, auf Menschenrechtsprobleme hinzuweisen, ohne selbst zum Problem zu werden.

Was kann ein öffentliches Unternehmen wie die Universität für die Menschenrechte tun?

Die Universität hat verschiedene Rollen: Mit ihrer Forschung trägt sie ganz direkt zur Lösung der angesprochenen Dilemmata an. Sie ist aber auch direkt betroffen und kann zum Beispiel als Auftraggeberin darauf achten, dass Menschenrechte von ihren Vertragspartnern eingehalten werden und dass Unternehmen die Mitarbeitenden nicht diskriminieren oder dass der Mindestlohn bei Bauprojekten und Putzequipen eingehalten wird. Im Rahmen der Universität selbst können wir ebenfalls einiges tun: So kommt zum Beispiel der Kaffee in der Mensa und den Cafeterien aus fairem Handel. Für die Schokolade müssen wir das noch einführen.