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Forschungsevaluation

Geistesgrösse messen: Ja gern, aber wie?

Brillante Forschung in der Romanistik lässt sich kaum mit Erkenntnis in Kunstgeschichte vergleichen. Trotzdem möchten viele die Forschung in den Geisteswissenschaften bewerten. An einer Tagung in Zürich wurden Kriterien und Grenzen von Messverfahren geisteswissenschaftlicher Leistung erörtert.
Claudio Zemp

Wie kann man geisteswissenschaftliche Forschung fair bewerten und dabei den Eigenheiten der verschiedenen Disziplinen gerecht werden? Gar nicht, fand letztes Jahr der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, der Forschungsratings grundsätzlich ablehnt. Mit dem radikalen Widerstand vieler Geisteswissenschaftler gegen jegliche «Vermessung» wurde an einer Tagung in Zürich oft kokettiert. Von den teilnehmenden Humanisten bestritt aber keiner ernsthaft, dass auch in den Philosophischen Fakultäten Forschung bewertet werden muss.

Terra incognita

Nur das «Wie» ist nicht so einfach zu beantworten. Die bibliometrischen Verfahren etwa, welche in den Naturwissenschaften seit mehr als hundert Jahren angewandt werden und auch in der Medizin breit etabliert sind, sind nicht eins zu eins auf Arbeiten von Linguisten oder Philosophinnen übertragbar. Zudem wurden Messmethoden von den Geisteswissenschaften lange Zeit stiefmütterlich behandelt, sagte Tagungsleiter Hans-Dieter Daniel, Leiter der Evaluationsstelle der UZH: «Die Geisteswissenschaften sind weitgehend unvermessenes wissenschaftliches Gebiet.»

Geisteswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sprachen über Messmethoden: Tagung an der UZH über Kriterien der Forschungsevaluation.

Oft kommen Geisteswissenschaftler in Ranglisten wie dem «Shanghai-Ranking» oder jenem des «Economist» gar nicht vor, weil Publikationsformen wie Bücher, die für Literaturwissenschaftler und Kunsthistoriker wichtig sind, gar nicht erfasst werden. Überhaupt berücksichtigen die etablierten Forschungsrankings nur englischsprachige Publikationen. In den Geistswissenschaften sind jedoch Veröffentlichungen in der Muttersprache ebenso wichtig.

Was heisst vorzüglich?

Als gutes Mittel zur Beurteilung von qualitativer Forschung gelten so genannte Peer Reviews, also Gutachten durch die Kollegen. Darüber sprach Michèle Lamont, Professorin für Soziologie an der Harvard-Universität in der «keynote». Sie wies darauf hin, dass auch Urteile von angesehenen Experten häufig auf unbewussten Kriterien beruhen und nicht frei von Fehlentscheiden sind. Lamont stellte ihre Arbeiten für das Buch «How Professors think» vor. Dazu hatte die Soziologin Jurymitglieder von begehrten Stipendien etwa nach ihrer Definition von akademischer Exzellenz befragt. Die Analyse brachte zutage, dass Sozialwissenschaftler das Herausragende mehr in der schriftlichen Arbeit sehen, also «in the paper». Geisteswissenschaftler erachten dagegen häufiger die Rede, also die klassische Verteidigung einer These, als Hauptkriterium für Vorzüglichkeit.

Michèle Lamont, Soziologin in Harvard: «Jede Disziplin sollte dort glänzen können, wo sie stark ist.»

Stärken vergleichen
Aufgrund von Interviews mit Juryexperten für begehrte Stipendien in den USA entlarvte Lamont eine Vielzahl von unbewussten emotionalen Prozessen, die zum Urteil der Juroren führten. So halten viele Professoren eine Arbeit für originell, wenn sie ihrem persönlichen Interessensfeld nah ist. Oder sie vergeben Stipendien gar nach impliziten «Tauschgeschäften» an die Favoriten der Kollegen. Originalität werde ganz unterschiedlich definiert, so die Soziologin. Jeder Professor, jedes Fach wähle nach anderen Schwerpunkten: Sind es spektakuläre neue Daten, innovative Methoden oder schlicht ein grandioser Stil, welche «excellence» ausmachen? Angesichts der Vielzahl von Forschungskulturen und Qualitätskriterien plädierte Lamont dafür, bei der Entwicklung von Messstandards die historisch gewachsenen Kriterien zu beachten: «Eine vergleichende Evaluation sollte es jeder Disziplin erlauben, dort zu glänzen, wo sie besonders stark ist.»

Lieber nicht zählen

In einer Diskussionsrunde präsentierten zum Abschluss drei Teilnehmer ihre «Do’s» and «Don’ts» zur Messung von Forschung in den Humanwissenschaften. Thomas Austenfeld, Dekan der Philosophischen Fakultät an der Universität Fribourg, machte mit einem Zitat aus «The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy» von Douglas Adams klar, dass es in den Geisteswissenschaften darum gehe, die richtigen Fragen zu stellen: Als Antwort auf die Frage nach dem «Sinn des Lebens, des Universums und überhaupt allem» tauge die Zahl «42» nichts, möge sie noch so akkurat sein.

Mehr als der jährliche Output sage die Qualität des Journals über die Wichtigkeit einer Arbeit aus, weswegen Zeitschriften unbedingt zu klassifizieren seien. Wettbewerb sei in der geisteswissenschaftlichen Forschung wenig fruchtbar, so Austenfeld weiter. Und «Peer Review» sei nicht naiv anzuwenden. Besonders in der kleinen Schweiz, wo vielerorts jeder Experte eines Fachs alle anderen kenne, seien objektive Urteile gar nicht denkbar.

Sie diskutierten in der Schlussrunde, was man tun und lassen sollte (von links): Thomas Austenfeld, Markus Zürcher und Gerhard Lauer.

Chance fürs Marketing

Markus Zürcher, Generalsekretär der Schweizerischen Akademie für Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW), sagte, Humanisten kämen nicht um die Vermessung ihrer Forschungsleistung herum. Kennzahlen würden von Politik und Verwaltung erwartet, nicht zuletzt um den Nutzen der von der öffentlichen Hand finanzierten Forschung zu beurteilen. Zürcher appellierte an die Wissenschaftler, sich einem gesunden Selbstmarketing nicht zu verweigern. Der Druck nach Standards sei gross, und noch bestehe die Chance der Forschenden, die Schritte zu den Messverfahren selbst zu steuern.

Beim Streben nach globaler «Exzellenz» dürften die Geisteswissenschaften die Wirkung der universitären Forschung im Nahraum nicht vernachlässigen, mahnte Zürcher. Damit die Kriterien auch die Vielfalt der Forschung spiegeln, schlug er etwa die Zertifizierung von Fachwissen durch die Fakultäten vor.

Neue Qualität dank Daten

«Zahlen sind nicht unsere Feinde», sagte Gerhard Lauer von der Universität Göttingen. Der Literaturhistoriker war am «European Scoping Project» beteiligt, welches länderübergreifende, bibliometrische Verfahren für die Geisteswissenschaften in Europa entwickelt. Es sei keine Frage, dass sich die Wissenschaften mit der Evaluation verändern würden, sagte Lauer. Viele Antworten aber, etwa in der Archäologie, seien nur mit Hilfe von Zahlen zu erhalten. Lauer nannte als Beispiel linguistische Untersuchungen über den Gebrauch von starken und schwachen Verben in den letzten 1000 Jahren.

Tagungsleiter Hans-Dieter Daniel, Leiter der Evaluationsstelle der UZH, zog eine positive Bilanz: «Geisteswissenschaftler haben keine Angst vor Forschungsevaluation.»

Dank digitalen Daten und Computern seien auch neue Arten von Forschung in den Geisteswissenschaften möglich, so geschehen etwa durch öffentliche Aufbereitung der integralen Werke von Leonardo da Vinci, Wolfgang Amadeus Mozart oder Charles Darwin. «Die Geisteswissenschaften werden stärker von Daten getrieben sein», sagte Lauer. Deshalb seien die Forschenden auf die Zusammenarbeit beim Austausch von Daten angewiesen. Die Haltung, dass alle Geisteswissenschafter Genies seien, ergo unvergleichbar und letztlich alle gleich gut, sei längst überholt, so Lauer weiter: «Messen ist vielleicht gar nicht so dumm, wie wir behaupten.»

Debatte am Anfang

«Die Bedürfnisse der Geisteswissenschaften sind gar nicht so weit weg von jenen der Naturwissenschaften.» So lautete das Fazit von Tagungsleiter Hans-Dieter Daniel von der Evaluationssteller der UZH. Die Diskussion an der Tagung habe ihm gezeigt, dass die Forschenden keineswegs Berührungsängste hätten: «Geisteswissenschaftler haben keine Angst vor Forschungsevaluation.» Noch sind die «supranationalen» Datenbanken zur vergleichenden Evaluation von Forschung im Aufbau. Daniel rief alle Geisteswissenschaftler dazu auf, sich jetzt zu den Kriterien zu äussern und die transparente Diskussion weiter voranzutreiben.