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Forschung und Gesellschaft

Einsteins Erben sollen sich mehr erklären

Die Schweiz lässt sich ihre Forschung einiges kosten. Was erforscht wird, will erklärt und vermittelt sein, denn die Gesellschaft möchte verstehen, wofür sie bezahlt. Eine Diskussion in der Zürcher Bar-Buchhandlung «Sphères» diente dem Gedankenaustausch zwischen Wissenschaftlern und Publikum. 
Roland Gysin
Diskutierten in der Bar-Buchhandlung Sphères: Dieter Imboden, Forschungspräsident des Schweizerischen Nationalfonds (r.), und Molekularbiologe Michael Hengartner.

Forschung und Bildung sind teuer. Jährlich gibt der Bund dafür rund 5 Milliarden Franken aus, etwa doppelt soviel wie für die Entwicklungszusammenarbeit oder 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts. 2008 unterstützte der Schweizerische Nationalfonds (SNF) Forschungsvorhaben in Rekordhöhe von 662 Millionen Franken. Ein Viertel mehr als im Vorjahr (531 Millionen Franken). 2009 wird es ein ähnlich hoher Betrag sein.

Wozu das viele Geld? Was leistet die Forschung für die Gesellschaft? Welche Freiheit braucht sie? Welche Schranken? Und: Lässt sich Forschung überhaupt steuern?

Die Technik-Euphorie ist passé

Dieter Imboden, Umweltphysiker und Forschungsratspräsident des SNF, und Michael Hengartner, Professor für Molekularbiologie Universität Zürich, diskutierten am Montagabend im Rahmen der «Science Bar» von «Life Scienes Zurich» in der Bar-Buchhandlung «Sphères» über das Thema «Forschung und Gesellschaft: Ein zerrüttetes Verhältnis?». Die Bar war mit über hundert Gästen gut besucht. Das Publikum diskutierte rege mit.

Gleich zu Beginn stellte Moderator Mathis Brauchbar, Co-Geschäftsleiter der Kommunikationsagentur Advocacy, die These auf, dass die Technik-Euphorie der 1950er und 60er Jahre passé sei.

Umfragen hätten gezeigt: «Die Forschung hat heute keine Carte blanche mehr.» Die Menschen seien gegenüber Forschungsvorhaben kritischer geworden. Früher sei die Mehrheit überzeugt gewesen, dass «Forschung und Technik» das Leben generell verbessern würden. Jetzt sagen rund 70 Prozent: Vor- und Nachteile halten sich die Waage.

Gesuchsbeurteilung als Gratwanderung

Forschungsprojekte zu beurteilen, ist die Hauptaufgabe von Dieter Imboden. Das sei jedes Mal eine Gratwanderung, gibt er zu. «Wir prüfen die Basis der Fragestellung, schauen, welche Methoden vorgeschlagen werden und machen uns ein Bild über die Forscherpersönlichkeit.»

Klar auch: Die Methoden, zum Beispiel in der Gentechnik oder bei Tierversuchen hätten den gesetzlichen Vorgaben zu genügen. Ob ein Forschungsvorhaben darauf ausgerichtet sei, schon morgen einen praktischen Nutzen zu generieren, sei dabei nicht vorrangig.

Sein Alptraum: «Dass wir ein Gesuch nicht bewilligen, hinter dem sich allenfalls der Einstein des 21. Jahrhundert verbirgt». Damit dies nicht passiert, wolle der SNF vermehrt originelle, sprich – im Bezug auf das zu erwartende Resultat – offene Forschungsvorhaben unterstützen. «Wir beurteilen die Qualität der Eingaben – 2008 waren das allein im Bereich der so genannt freien Forschung 3439 Gesuche.»

Michael Hengartner: «Forscherinnen und Forscher wollen in erster Linie verstehen.»

Für Michael Hengartner ist klar, dass sich Forschung nicht primär am «Nützlichkeitsprinzip» orientieren darf. «Wir wissen heute nicht, was in zwanzig Jahren nützlich sein wird. Forscherinnen und Forscher sind wie Kinder, die nie aufhören nach dem Warum zu fragen. Sie wollen in erster Linie verstehen.»

Auf den Punkt brachte es ein Votant aus dem Publikum. Die Gesellschaft wolle Gewissheiten, diese könne gerade die naturwissenschaftliche Forschung nicht leisten. «Sie liefert nur Vorläufiges.» Umsomehr gehe es darum, «Aufklärung als Daueraufgabe zu betrachten».

Die Wissenschaft muss sich mehr um Vermittlung bemühen und den Elfenbeinturm, die geschützte Werkstatt, verlassen, so ein weiterer Wunsch aus dem Publikum: «Warum mischen sich Forscher nicht vermehrt in politische Diskussionen ein?»

Gute Forscher nicht zwingend gute Kommunikatoren

Imboden und Hengartner äusserten Verständnis für diese Forderung. «Forscher dürften praktischer sein», meinte Imboden. Hengartner gab zu Bedenken, dass «gute Forscher nicht unbedingt gute Kommunikatoren sind».

Oder, wie es eine Zuhörerin formulierte: «Wissenschaftskommunikation ist zwar zeitintensiv, aber Meriten lassen sich damit nicht gewinnen. Da widmet man die knappe Zeit lieber den Formulierungen für das nächste Forschungsgesuch.»

Ergo: Um Forschung unter die Leute zu bringen, braucht es Profis. Wissenschaftsjournalisten in den Medien und ausgebaute Kommunikationsabteilungen an den Hochschulen. Imboden: «Schön wäre es, wenn es irgendeinmal nach der Nachrichtensendung ‹10vor10› nicht mehr heisst: Es folgt ‹Sport aktuell›, sondern: Jetzt kommt die Sendung ‹Wissenschaft und Forschung›.»