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Kulturgeschichte

Blumenschätze aus Pharaonengräbern entdeckt

In den Kellern des Instituts für Systematische Botanik an der Universität Zürich fanden sich bei einer Zügelaktion völlig überraschend Teile von über 3000 Jahre alten Blumengirlanden. Die Blumen schmückten einst ägyptische Mumien.
Roland Gysin

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Christiane Jacquat ist Archäobotanikerin und Hüterin eines Schatzes. Der Schatz, das sind 31 in Zeitungspapier eingewickelte schwarze Bilderrahmen mit Glasabdeckung. Dahinter zu sehen, sind auf Karton aufgezogene, getrocknete Pflanzen, die fein säuberlich angeschrieben sind; etwa mit «Ausgebreitete Blätter von Mimusops Schimperi Hochst.» oder «Blüthenköpfe von Acacia nilotica Del. mit gefalteten Blättern von Salix Safsaf F. zu einer Girlande zusammengeflochten».

Blumengirlande der Mumie Ramses II, gestorben 1213 v. Chr.: Auf unbekannten Wegen nach Zürich gelangt.

Jahrzehntelang unbemerkt

Jacquat erinnert sich, dass sie erst gar nicht merkte, welche Kostbarkeiten jahrzehntelang vergessen in den Kellern des Instituts für Systematische Botanik der Universität Zürich gelagert hatten. Erst als sie sich nach überstandener Zügelte die verblassten, handschriftlichen Notizen genauer ansah, wurde ihr klar, was sie vor sich hatte. Es waren Teile von Blumengirlanden aus ägyptischen Pharaonengräbern.

 «Aus einem Blumengebinde von der Mumie der Prinzessin Nsi Chonsu, XXII Dynastie (um 900 vor Chr.) zu Der el Bahari, Theben, grosser Gräberfund 1881)», heisst es da. Oder «Von den Guirlanden der Mumie Amenhotep I» oder «Ficus Sycomorus L. aus dem Sarge eines Privatmannes namens Kent der XXten Dynastie (1100–1200 vor Chr.) angehörig.»

Doch wie kamen diese Funde nach Zürich? Für Christiane Jacquat, die am Institut für Pflanzenbiologie und an der Abteilung für Ur- und Frühgeschichte arbeitet, war schnell klar, dass die Girlanden aus dem Königsmumienversteck in Deir-el-Bahari stammen müssen, unter anderem bekannt durch den Totentempel der Hatschepsut. Die Geschichte der Entdeckung der Grabstätten nördlich von Theben reicht zurück ins 19. Jahrhundert.

Dem Geheimnis auf der Spur

Ab 1875 tauchten im Pariser Kunsthandel immer wieder Kunstgegenstände auf, offenbar aus altägyptischen Gräbern. Sie erregten die Aufmerksamkeit des französischen Ägyptologen Gaston Maspero. Seine Vermutung: Grabräuber hatten bislang unbekannte Gräber entdeckt und versuchten nun die gefundenen Objekte zu Geld zu machen.

Gaston Maspero war Direktor der ägyptischen Altertümer-Verwaltung von 1881–1886 und nochmals von 1899–1914. Gemäss Literatur erwies sich die Theorie der Grabräuber als richtig. Diese gerieten untereinander in Streit und gaben den bisher unbekannten Ort der Gräber den Behörden preis.

Darauf machte sich eine offizielle Delegation von Ägyptologen von Kairo aus nilabwärts auf die Suche nach den Grabstätten. In Deir-el-Bahari wurden sie fündig. Sie stiessen auf insgesamt vierzig Mumien, darunter die sterblichen Überreste der bedeutendsten Pharaonen des Neuen Reiches, allen voran Ramses II, der den Beinamen «Sonne Ägyptens» trug. Als Ramses II im August 1213 v. Chr. mit 90 Jahren starb, hatte er eine Regierungszeit von fast 67 Jahren hinter sich.

Die Gräber waren voll mit aneinandergestellten Särgen, Kästen mit Totenfiguren und Götterstatuen aus Holz. Der mumifizierte Körper des greisen Herrschers und all die anderen Toten waren in kostbare Leinentücher gehüllt oder mit breiten Leinenbinden sorgfältig umwickelt. Darüber lagen die Blumengirlanden und in den Querbändern steckten oft noch viele einzelne Blüten.

Blütenblätter aus der Blumengirlande der Prinzessin Nsi Chonsu, um 900 v.Chr.: Jahrzehntelang vergessen in den Kellern der botanischen Institute gelagert.

Die Ägyptologen und ihre Helfer räumten die Gräber leer und brachten die Fundstücke nach Bulacq bei Kairo für die wissenschaftliche Aufarbeitung.

Girlanden auseinandergeschnitten

Einige Zeit später erfuhr der deutsche Botaniker und Afrikaforscher Georg Schweinfurth (1836–1925) von den Funden. Maspero übergab ihm die Girlanden oder zumindest Teile davon, mit der Bitte sie an verschiedene europäische botanische Institute zu verteilen.

Doch zuvor machte sich Schweinfurth daran, die Pflanzenarten der Girlanden zu präparieren und zu bestimmen. Die Ergebnisse seiner Arbeit veröffentlichte er 1883 im «Bulletin de l’institut Egyptien». Leider seien beim Öffnen der Sarkophage und durch den Transport viele Pflanzen zu Staub zerfallen oder zumindest beschädigt worden, schreibt er.

Dennoch konnte Schweinfurth eine ganze Reihe von Blumen und anderen Gewächsen retten und für die Nachwelt konservieren. Dazu legte er die trockenen, graubraunen Blätter der Pflanzen, etwa einer Nymphaea coerula Sav., einer blauen Seerosenart, in kaltes oder heisses Wasser. Durch die Feuchtigkeit wurden die Pflanzen biegsam, und so konnte er die Blütenblätter erst sorgfältig auseinanderfalten, um sie danach wieder zu trocknen.

Schweinfurth hatte Kontakt zu verschiedenen europäischen Museen. Nachdem er die Pflanzenfunde akribisch dokumentiert hatte, schnitt er die Girlanden auseinander, beschriftete sie, verpackte sie in Schachteln und übergab sie – wie von Maspero gewünscht – an verschiedene Museen. Den grössten Teil erhielt das Botanische Museum Berlin-Dahlem. Die Girlanden, die an das ägyptische Museum in Berlin gingen, sind verschollen oder wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört. Weitere Sendungen gingen ins «Muséum national d’histoire naturelle» in Paris oder nach Kew, ins Magazin des Royal Botanic Garden, London.

«All dies ist bekannt und dokumentiert», sagt Christiane Jacquat, «nicht aber, dass Schweinfurth eine ganze Reihe seiner Girlanden-Funde auch dem damaligen Botanischen Museum in Zürich geschenkt hat. Das ist neu.» Vorerst unklar bleibt, so Jacquat, weshalb es zu dieser Schenkung gekommen ist und was mit den Pflanzen passiert ist, bevor sie irgendwann im Keller gelandet sind.

Integration in Herbariensammlung geplant

In der Bibliothek der botanischen Institute der Universität Zürich befindet sich ein umfangreicher – bisher nicht ausgewerteter – Briefwechsel zwischen Georg Schweinfurth und Hans Schinz (1858–1941). Schinz war von 1895 bis 1929 Direktor des Botanischen Gartens und nahm 1884 an eine Expedition nach dem nachmaligen Deutsch-Südwestafrika (heute Nambia) teil. Daraus entstanden Kontakte zum Botanischen Garten Berlin-Dahlem. Und so dürften die Girlanden gemäss Reto Nyffeler, Co-Kurator der Herbariensammlung der Universität Zürich und der ETH, auch nach Zürich gekommen sein. «Vielleicht lässt sich aus den Briefen die Geschichte im Detail zurückverfolgen», hofft Jacquat.

Christiane Jacquat, Archäobotanikerin: Den Wert der Blumengirlanden erst gar nicht bemerkt.

Die Funde könnten, aufbauend auf den Veröffentlichungen von Schweinfurth aus dem 19. Jahrhundert, allenfalls weitere Aufschlüsse darüber geben, wie die Vegetation in Ägypten vor über 3000 Jahren aussah. Was wurde wann und weshalb kultiviert? Und welche symbolische oder sakrale Bedeutung hatten die Blumengirlanden? Doch um diese Fragen beantworten zu können, müssten erst die Finanzen dazu gefunden werden.

Für Hans Peter Linder, Professor für Systemtische Botanik an der Universität Zürich, sind die Girlandenfunde eine freudige Überraschung. Momentan laufen die Abklärungen, wie die Pflanzen geeignet gelagert werden können. Dann sollen sie dokumentiert werden und könnten dann vielleicht in die gemeinsame Herbariensammlung der Universität Zürich und der ETH integriert werden. Die Sammlung zählt über 3,5 Millionen Belege von Gefässpflanzen, Moosen, Algen und Pilzen aus allen Gegenden der Erde.

Jacquat selbst steht seit einiger Zeit mit dem Botanischen Museum in Berlin-Dahlem in Kontakt. Ansprechpartnerin ist Marina Heilmeyer, die Die Kunsthistorikerin organisierte in Berlin bereits 1998 eine Sonderausstellung mit dem Titel «Die grüne Schatzkammer. Blütenkränze der Pharaonen». Die Zürcher Funde findet sie «überwältigend». Und sie hofft, dass man die Girlanden in einer Ausstellung bald einmal zusammenführen kann.