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Technikgeschichte

Von der Dampfmaschine zum Bordcomputer

Wir wollen immer schneller und sicherer unterwegs sein. Doch die Folgen dieser Mobilität sind kaum erforscht. Die Tagung «Die Revolution der Automation» will den Lücken auf die Spur kommen. UZH News hat sich mit der Mitorganisatorin und Historikerin Gisela Hürlimann unterhalten.
Adrian Ritter
Lokomotive ausgerüstet mit dem European Train Control System (ETCS): Erlaubt einen noch dichteren Fahrplan und kürzere Reisezeiten.

UZH News: Die Tagung «Die Revolution der Automation» widmet sich der Entwicklung des Verkehrswesens seit den 1950er Jahren. Was ist seither passiert?

Gisela Hürlimann: Mit dem Ausbau des Strassennetzes verbreitete sich das Automobil und neben dem Auto- und Eisenbahnverkehr entwickelte sich das Flugzeug zum Massentransportmittel. Der Flugverkehr wurde noch zentraler gelenkt und automatisiert als der Eisenbahnverkehr. Sinnbild dafür ist der «Autopilot». Gleichzeitig bildet der spurgeführte Eisenbahnverkehr seit seinen Anfängen ein geschlossenes und damit potenziell kybernetisches – also selbsttätiges, automatisches – System.

Welche technischen Neuerungen machten diese Automation möglich?

Zu den wichtigsten Innovationen zählen die Mikroelektronik, der modernisierte Funkverkehr und die Digitalisierung der Rechenmaschinen hin zu unseren heutigen Computern. Hinsichtlich Rechenleistung, automatischer Abläufe, zentraler Lenkung und Geschwindigkeit waren dies Quantensprünge. Ziel der Automation war es grundsätzlich immer, gleichzeitig sowohl die Effizienz wie auch die Sicherheit zu erhöhen. Die Eisenbahn begann sich vom windschnittigen Design über die Navigationstechnik bis hin zur Ansage «Willkommen an Bord» am Flugzeug zu orientieren.

Wie weit ist die Automation im Verkehrswesen fortgeschritten?

Die grossen Utopien der 1950er und 1960er Jahre sind nur ansatzweise verwirklicht worden. Wir haben in Europa weder Magnetschienenbahnen, noch verkehren Schienentaxis – eine Mischung aus Auto und Eisenbahn. Noch 1978 prognostizierte ein Futurologe, im Jahr 2000 würden Reisen ins Weltall und auf den Meeresgrund zum Alltag gehören. Da stehen wir erst am Anfang.

Grundsätzlich ist die Automation aber recht weit fortgeschritten. Im Eisenbahnverkehr etwa würde die moderne Betriebsleittechnik theoretisch eine zentrale Überwachung des gesamten Bahnverkehrs von einer Stelle aus erlauben. Seit einem Computer-Crash in der Zürcher SBB-Leitzentrale im Jahre 2005 ist man jedoch vorsichtiger geworden und setzt wieder vermehrt auf eine dezentrale Steuerung. Das European Train Control System (ETCS) zeigt zudem, dass eine automatische Zugsicherung auch die Erhöhung von Geschwindigkeit und Zugfolgedichte erlaubt: also einen noch dichteren Fahrplan und kürzere Reisezeiten.

Innovationen scheitern vermutlich manchmal auch aus Kostengründen?

Gänzlich neue Systeme wie Magnet- oder Luftkissenschwebebahn werden tatsächlich vor allem dort realisiert, wo nicht bereits vorher viel Geld in bestehende Systeme investiert worden war, etwa in China oder  in den Arabischen Emiraten. In Ländern wie der Schweiz mit einem ausgebauten Eisenbahnnetz wird das Bestehende laufend verbessert. Eine revolutionäre Idee wie die «Swissmetro» hat es entsprechend schwer.

Gisela Hürlimann, Historikerin: Technologische Entwicklungen kritisch begleiten und untersuchen.
Wie schätzen Sie die Zukunft des automobilen Privatverkehrs ein?

Im Gegensatz zum Flugzeug oder der Eisenbahn überlässt hier der Passagier die Steuerung bis heute nicht einer anderen Person oder einem System. Ob dies so bleibt, ist fraglich, denn die Verkehrsüberlastung und das gesellschaftliche Bedürfnis nach Sicherheit setzen der Automobilistin zunehmend Grenzen. Auch beim Auto schreitet die Automation voran, etwa mit Verkehrsleitsystemen, GPS und Bordcomputern, die vor Gefahren warnen oder direkt ins Fahrgeschehen eingreifen.

Die gegenseitige Beeinflussung von Individuum, Gesellschaft und Technik ist ebenfalls ein Thema der Tagung. Inwiefern sind die Vorträge interdisziplinär?

Die Tagung bietet die Chance, dass Ingenieurinnen und Ingenieure, Unternehmer sowie Geistes- und Sozialwissenschaftlerinnen sich austauschen können. Letztere erfahren etwas über neue technische Entwicklungen und Ingenieure erhalten Einblicke in die gesellschaftliche Relevanz ihrer Arbeit. Automatisierte Abläufe hinterlassen Spuren in der gesellschaftlichen Interaktion und der privaten Lebenswelt.

Entsprechend äussern sich Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler bisweilen auch kritisch über die Automation.

Es ist für mich als Historikerin interessant zu sehen, wie etwa beim deutschen Philosophen Arnold Metzger in seiner Schrift «Autonomie und Automation» (1964) der Optimismus überwog. Er beschrieb zwar, dass die Automation einer Gesellschaft bedarf, in der Kontrolle zum Leitbegriff aufsteigt. Gleichzeitig war er aber überzeugt, dass diese Art der Kontrolle letztendlich zur Befreiung führt, indem sie die Versklavung des Menschen durch die Maschine überwindet.

Zur gleichen Zeit betrachtete der Soziologe Herbert Marcuse die Technik als Herrschaftsinstrumen. Er befürchtete, dass die aus der Automation hervorgehende Konsumgesellschaft den Menschen neuen Zwängen unterwirft und zur Entfremdung führt.

Wie sehen die Sozialwissenschaften Technologie und Automation heute?

Ich denke, es ist unsere Aufgabe, die technologischen Entwicklungen kritisch zu begleiten und zu untersuchen. Insofern ist die Tagung auch ein Impuls für mehr geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung in diesem Bereich. Zuwenig erforscht sind zum Beispiel die Auswirkungen der steigenden Mobilität auf die Siedlungsstruktur, der Zusammenhang zwischen Mobilität und Migration oder die Frage, welche sozialen Schichten an der Mobilität teilnehmen und welche allenfalls davon ausgeschlossen sind.