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Frühkindliche Traumata

Unglaublich viel Negatives erlebt

Frühkindliche Misshandlungen hinterlassen dauerhafte Verletzungen. Im Rahmen des sechsten Workshopkongresses für Klinische Psychologie und Psychotherapie näherten sich Fachleute dem Thema Traumata aus unterschiedlichen Perspektiven.
Marita Fuchs
Ulrike Ehlert, Professorin für Klinische Psychologie an der UZH, begrüsst die Kongressteilnehmer des 6. Workshopkongress für Klinische Psychologie und Psychotherapie.

Als Kind missbraucht worden zu sein, hinterlässt tiefe seelische Narben. Auch nach extrem belastenden Erlebnissen in Kriegen und unter Folter leiden viele Überlebende noch Jahre danach unter schweren psychischen Störungen, die in dem Krankheitsbild der posttraumatischen Belastungsstörung beschrieben werden. Unter Trauma versteht man eine Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses, die sich in unterschiedlichen Krankheitsbildern niederschlägt. Viele Opfer zeigen Bindungsstörungen und haben Berührungsängste.

Das Problem ist gravierend, werden doch allein in den USA pro Jahr eine Million Fälle von Kindesmisshandlungen der Polizei gemeldet. Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich sehr viel höher. Für die Schweiz liegen keine verlässlichen Zahlen vor, eine nationale Statistik fehlt. Anfang 2009 meldete das Kinderspital Zürich eine Zunahme der Fälle von Kindesmisshandlungen von dreizehn Prozent gegenüber 2007.

Wie sehen die Konsequenzen frühkindlicher traumatischer Erfahrungen für das Erwachsenenalter aus?

Genetische Spur im Gehirn

Professor Christine M. Heim von der Emory University Atlanta beleuchtet das Thema aus biologischer Perspektive: Quälereien oder Misshandlungen lassen sich biologisch nachweisen, sagt sie: «Frühkindlicher Stress bewirkt eine Veränderung der neurobiologischen Schaltkreise im Gehirn, die das Verhalten steuern.»

Christine M. Heim erforscht an der Emory University Atlanta die biologische Basis psychosomatischer Störungen.

Heim hat in einer wissenschaftlichen Studie depressive Patienten mit Missbrauchserfahrung in der frühen Kindheit mit Patienten verglichen, die zwar depressiv waren, aber keinen Missbrauch erlebt hatten. «Früher Stress ändert das Volumen des Hippocampus, der Region des Gehirns, die unter anderem für die Überführung von Gedächtnisinhalten aus dem Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis verantwortlich ist.» Diese Veränderungen zeigen sich nicht bei depressiven Patienten ohne frühe Stresserfahrung.

Umdenken von Nöten

Aufgrund dieser Tatsachen müsse man umdenken, so die Forscherin, denn die ‚klassischen‘ biologischen Merkmale der Depression, die in der Literatur beschrieben werden, seien in Wirklichkeit Folge früher Stresserfahrungen und nicht Anzeichen einer Depression an sich. Die Berücksichtigung dieser Faktoren hätte auch Auswirkungen auf die Therapie. «Wir konnten nachweisen, dass depressive Patienten mit einer Missbrauchserfahrung anders auf Behandlungsstrategien ansprechen.»

Narrativ aufarbeiten

Perspektivenwechsel. Wie sieht die Therapie mit traumatisierten Patientinnen und Patienten aus? Unterschätzt werde oft die emotionale Misshandlung von Kindern, sagt Professor Frank Neuner von der Universität Bielefeld. Wer als Kind immer wieder verbal attackiert und lächerlich gemacht werde, trage ebenfalls starke seelische Verletzung mit sich. Leider sei es häufig so, dass emotionaler und körperlicher Missbrauch zusammenkomme. «Es gibt eine Gruppe von Kindern, die unglaublich viel Negatives erlebt haben.»

«Durch wiederholtes Erleben im Erzählen, das Trauma verarbeiten», Frank Neuner von der Universität Bielefeld.

In seiner therapeutischen Praxis habe er die besten Erfahrungen mit einem Trauma-fokussierten Therapieverfahren gemacht. Dabei werde die Erinnerung an das Trauma wachgerufen und im Gespräch, quasi durch «Versprachlichung» aufgearbeitet. Die durch das Trauma erzeugten Grundüberzeugungen, auch die Scham- und Schuldgefühle, werden dabei auf lange Sicht hin positiv umgedeutet.

Tiefe Berührung auslösen

Einen anderen Ansatzpunkt verfolgt Theaterregisseur Volker Hesse: Er arbeite auch mit Schauspielern und Schauspielerinnen zusammen, die Isolation, Ohnmachtgefühle, oder sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit erlebt hätten. «Sie versuchen ihre Belastung durch die künstlerische Arbeit in Schach zu halten und können – im besten Fall – durch die im persönlichen Erleben verankerte Imagination eine tiefe Berührung beim Zuschauer auslösen.»

Allerdings: Menschen, die sich hilflos in psychischen Störungen drehen, können keine Theaterkunst machen, erzählt Hesse. Um das Traumatische darstellen zu können, brauche es immer auch ein «intaktes Teil-Ich», das mit erwachsener Distanz an die Arbeit gehe.

«Durch eine im persönlichen Erleben verankerte Imagination, können Schauspieler eine tiefe Berührung auslösen», Volker Hesse, Theaterregisseur.

Für die Tell-Spiele in Altdorf habe er mit 70 Laiendarstellern gearbeitet. Um den Klischees des Stückes nicht zu erliegen, habe er mit den Schauspielern die eigentliche Grausamkeit der Szenen besprochen und ihnen Folterbilder aus dem irakischen Abu-Ghraib-Gefängnis gezeigt. «Die vielfach zum Klischee verkommene berühmte Apfelschuss-Szene ist in ihrem Kern eine Foltergeschichte in einem Besatzungskrieg», erläutert Hesse. Der Junge, dem der Apfel vom Kopf geschossen werden soll, ist Teil eines grausamen Disziplinierungsprozesses. «Um diese Szene in ihrem tieferen Schichten zu bewältigen, ist ein Wissen um Folterprozesse notwendig.»

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