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Kinderbibeln

Turmbauer und Dinosaurier

Ob katechetisches Hausbüchlein oder Bibel-Comics: Biblische Geschichten kindgerecht aufzuarbeiten hat eine lange Tradition. Wie sich Inhalte und Gestaltung von Kinderbibeln über die Jahrhunderte verändert haben, wird am Theologischen Seminar untersucht.
Roger Nickl
Bibellektüre: Eltern und Grosseltern wollen den Kindern und Enkeln die alten Geschichten erzählen und so religiöses Wissen vermitteln.

Muskelbepackt, mit langem wallenden Bart, wehendem Gewand und hochgereckten Armen wird Moses auf dem bunten Cover der «Manga-Bibel» dargestellt. Hinter ihm türmen sich die gezähmten Wogen des Roten Meers. In den Bildern des englischen Zeichners Siku wird die biblische Figur zum phantastischen Comics-Helden für Kinder und Jugendliche. So ungewöhnlich und unerwartet eine Bibel im Manga-Format sein mag – das Bestreben, biblische Geschichten kindgerecht aufzubereiten, ist nicht neu. Die Tradition reicht bis in die späte Reformationszeit im 17. Jahrhundert zurück.

Waren es früher mehr oder weniger reich bebilderte Hausbüchlein und Kinderbibeln, die eine erste Annäherung an christliche Themen und Werte ermöglichen sollten, so hat sich das Angebot im Medienzeitalter vervielfältigt. Neben illustrierten Büchern für alle Altersgruppen werden heute genauso interaktive CD-Roms und eben Bibel-Comics veröffentlicht. «Offensichtlich ist für Verlage ein Markt da», sagt Thomas Schlag, «vor allem Eltern und Grosseltern wollen den Kindern und Enkeln die alten Geschichten erzählen und so religiöses Wissen vermitteln – dies aber auf eine moderne Weise, die die Kinder mit ihren Lebensfragen in das Geschehen mit einbezieht.»

Schöpfungsgeschiche mit Steinzeitmenschen

Wie sich Inhalte und Gestaltung von Kinderbibeln über die Jahrhunderte hinweg ausgeprägt und verändert haben, untersuchen Theologe und Religionspädagoge Schlag und seine Mitarbeiter Stephan Huber und Marcel Naas am Theologischen Seminar.

In ihren interdisziplinären Studien interessiert die Wissenschaftler insbesondere, mit welchem Kinderbild Illustratoren und Autoren die biblischen Geschichten in verschiedenen Ausgaben und Epochen aufbereitet haben. «In den frühen Kinderbibeln wurden Kinder vor allem als Objekte der Belehrung verstanden», weiss Schlag, «sie sollten die Texte lesen und danach teilweise am Rand vermerkte Fragen beantworten.»

Kinderbibeln waren damals klassisch katechetische Medien, die das Ziel hatten, den Nachwuchs in den Glauben einzuweisen. Im 18. Jahrhundert begann sich dann der Blick zu öffnen: Im Zuge der Aufklärung sollten sich Kinder selbständiger mit der biblischen Überlieferung auseinandersetzen. «Dem Kind wurde auch nicht mehr nur eine abgeschlossene kirchliche Welt vorgeführt», sagt der Forscher. In die Illustrationen flossen neben christlichem Wissen auch kulturgeschichtliche Aspekte ein. Die Szenen spielten sich oft vor dem Hintergrund zeitgenössischer Architektur oder der neu entdeckten Pflanzenwelt ab.

In Kinderbibeln von heute rücken die biblischen Figuren zusehends auf Augenhöhe mit ihren jungen Lesern.

Perspektive geändert

In vielen Illustrationen älterer Kinderbibeln wurde der Blick des Betrachters von unten auf eine biblische Szene gerichtet. Das Heilsgeschehen wurde so in eine erhabene Position und gleichzeitig auf Distanz gesetzt. In den Kinderbibeln von heute hat sich diese Perspektive radikal gewandelt: Die biblischen Figuren rücken zusehends auf Augenhöhe mit ihren jungen Lesern – sie werden menschlicher und meist nicht mehr so heroisch wie in vergangenen Zeiten dargestellt.

Auch werden die Geschichten häufig stark personalisiert. «In vielen heutigen Kinderbibeln ist Jesus nicht mehr der überweltliche Messias», betont Thomas Schlag, «er wird zum Freund und Gesprächspartner.» Zudem fliessen in die Bücher Informationen aus ganz unterschiedlichen, modernen Wissenszusammenhängen ein.

So sind in der beliebten Ravensburger Kinderbibel von Ulises Wensell und Thomas Erne aus dem Jahr 1995 etwa auch Dinosaurier und Steinzeitmenschen auf den Illustrationen der Schöpfungsgeschichte zu finden – ein Hinweis auf Evolutionsfragen. Für den Religionspädagogen Thomas Schlag sind dies Indizien dafür, dass die jungen Leser und ihre Lebenswelt ernst genommen werden.

Biblische Evergreens

Kinderbibeln haben ihre eigenen Gesetze: Je bildhafter eine Geschichte ist, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie in ein Buch aufgenommen werden. Aus diesem Grund kommt etwa die theologisch zentrale Figur des Paulus aus dem Neuen Testament kaum vor, ebenso wird die im Neuen Testament wichtige, aber auch abstrakte Bergpredigt eher selten thematisiert.

Im Gegensatz dazu gibt es richtig gehende Evergreens: die Schöpfungsgeschichte gehört beispielsweise dazu, aber auch die Figur des Moses. Ebenso sind in Kinderbibeln die Geschichten zum Turmbau zu Babel oder zu Jona und dem Wal ein Renner. Das Neue Testament wiederum ist vor allem mit verschiedenen Wunder- und Heilungsgeschichten, der Kreuzigung und Auferstehung sowie der Apostelgeschichte vertreten.

Religionsdidaktik ohne Zeigfinger

Als Religionspädagogen interessiert Thomas Schlag nicht nur die historische Entwicklung von Kinderbibeln, sondern auch die Qualität heutiger Ausgaben und die Frage, wie diese im Unterricht eingesetzt werden können. «Kinderbibeln sollten nicht mit dem Zeigefinger vermeintliche Wahrheiten vermitteln, sondern sie sollten in aller Offenheit positive Orientierungsangebote machen und individuelle Entdeckungsprozesse auslösen», ist er überzeugt.

Aber auch in sprachlicher Hinsicht sind heutige Kinderbibeln nicht immer auf Augenhöhe mit ihrem Publikum: Sie neigen teilweise zu Infantilisierungen, die die Fähigkeiten von Kindern unterlaufen.

Mit seiner Forschung hofft Schlag deshalb auch weitere Kriterien für künftige, pädagogisch wertvolle Kinderbibeln zu gewinnen. Dass er dabei – etwa im differenzierten Umgang mit Bild und Text – auch vom Wissen älterer Autoren und Illustratoren profitieren kann, ist er überzeugt. Was die Kinderbibel der Zukunft leisten muss, ist für den Religionspädagogen jedenfalls schon heute klar: «Sie muss zu einer Erziehung zur Mündigkeit und Freiheit beitragen», sagt Thomas Schlag, «ob die Kinder durch die Lektüre zu fleissigen Kirchgängern werden, ist für mich sekundär.»