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Podiumsgespräch

Tierversuche - umstritten wie eh und je

Tierversuche sollen wenn immer möglich durch alternative Methoden ersetzt werden, darin waren sich die Forscher am Podiumsgespräch der Stiftung «Gen Suisse» einig. Tierschützer forderten mehr Kreativität auf dem Weg zur tierversuchsfreien Forschung.
Adrian Ritter

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Podiumsteilnehmende (von links): Julia Fitzi-Rathgen (Schweizer Tierschutz), Paul Herrling (Universität Basel, Novartis), Adriano Aguzzi (UZH), Hans Sigg (ETHZ/UZH), Stefanie Schindler (Stiftung Animal Free Research), Christine Egerszegi-Obrist (Ständerätin, Stiftung Forschung 3R)

Rund 730`000 Tiere wurden 2008 in der Schweiz in Tierversuchen eingesetzt. Nachdem die Zahl der Versuchstiere bis zum Jahre 2000 stetig abgenommen hatte, steigt sie seither kontinuierlich an. Gleichzeitig haben seit 1997 Versuche mit dem höchsten Belastungsgrad um mehr als 50 Prozent abgenommen.

Der Grund für die Zunahme der Gesamtzahl der Tierversuche liege im Boom der Life-Sciences, ist Prionenforscher Adriano Aguzzi, Direktor des Institutes für Neuropathologie der Universität Zürich, überzeugt: «Dank der Entschlüsselung des menschlichen Genoms können jetzt in der Forschung viel gezieltere Fragen gestellt werden.»

Der Ansatzpunkt der Ethik

Diese Fragen versucht die Wissenschaft unter anderem mit Tierversuchen zu beantworten. Wie unterschiedlich die Sichtweisen zu diesem Thema sind, zeigte sich beim Podiumsgespräch vom Donnerstag im Kongresshaus Zürich an grundlegenden ethischen Fragen. Für den Biopharmakologen Paul Herrling, Professor an der Universität Basel und Forschungsleiter von Novartis, muss die ethische Betrachtung beim Menschen ansetzen: «Tierversuche werden gemacht, um die Biologie von Krankheiten besser zu verstehen und Leiden zu lindern.»

«Die ethische Diskussion muss beim Tier ansetzen», forderte demgegenüber die Veterinärmedizinerin Julia Fitzi-Rathgen, Leiterin der Fachstelle Tierversuche und Gentechnologie beim Schweizer Tierschutz STS. Der STS lehnt Tierversuche nicht rundweg ab, aber «Versuche mit Schweregrad 3, also der höchsten Belastung für die Tiere, sind inakzeptabel.»

Die Güterabwägung müsse stärker zugunsten der Tiere ausfallen, so Fitzi-Rathgen. In den kantonalen Tierschutzkommissionen herrsche ein Ungleichgewicht. Gemäss ihrer eigenen Umfrage stammen höchstens 26 Prozent der Mitglieder aus Tierschutzkreisen. Das Publikum kritisierte diese Zahl als falsch.

Wenn immer möglich Alternativen

«Weil auch wir Tiere mögen und Tierversuche zudem teuer sind, setzen wir wenn immer möglich Alternativen wie Zellkulturen, Computersimulationen und In-vitro-Techniken ein», erwiderte Aguzzi. Derartige Forschung wird nicht zuletzt von der Stiftung «Forschung 3R» (Reduction, Refinement, Replacement of Animal Experimentation) gefördert. Stiftungspräsidentin und Ständerätin Christine Egerszegi-Obrist forderte Forschende auf, sich mit Gesuchen an die Stiftung zu wenden.

Dass hingegen gewisse Forschung nur mit Tierversuchen möglich sei, erläuterte Aguzzi am Beispiel seiner Prionenforschung: «Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir ohne Tierversuche herausgefunden hätten, wie Prionen entstehen.» 

Veterinärmedizinerin Stefanie Schindler, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung «Animal Free Research», forderte von Forschenden mehr Kreativität auf der Suche nach Alternativen zu Tierversuchen. «Wo man heute nur mit Tierversuchen weiterkommt, wird es in zwei Jahren schon Alternativen geben», gab sich Fitzi überzeugt.

Wichtige Grundlagenforschung

Aus dem Publikum wurde eine den Podiumsteilnehmenden unbekannte Studie zitiert, gemäss der 50 Prozent aller Versuchsmäuse Verhaltensstörungen aufweisen. Sigg, Tierschutzbeauftragter von Universität und ETH Zürich, stellte nicht in Abrede, dass Verhaltensanomalien bei Mäusen anzutreffen seien.

Allerdings habe dieses Problem stark abgenommen, seit die Käfige von Versuchstieren abwechslungsreicher gestaltet werden. Verhaltensprobleme können gemäss Sigg auch entstehen, wenn Tiere in Tiergruppen sich nicht verstehen. Ein Problem, das sich durch Umplatzierungen lösen lasse.

Die Schweiz verfüge über die weltweit strengste Tierschutzgesetzgebung, betonte Egerszegi-Obrist. Gemäss Fitzi-Rathgen mag dies auf Nutz- und Heimtieren, aber nicht auf Versuchstiere zutreffen. Versuchstieren müssten mit kleineren Käfigen Vorlieb nehmen und hätten betreffend Futter, Lärm und Licht unter schlechteren Bedingungen zu leben als ihre Artgenossen ausserhalb der Labors.

Versuchstieren dieselben Platzverhältnisse wie Heimtieren zur Verfügung zu stellen, sei aufgrund ihrer grossen Zahl unmöglich, meinte Herrling. Er ortete eine Diskriminierung anderer Art. Die Geschichte der Wissenschaft zeige klar, dass Grundlagenforschung immer wieder zu nützlichen Anwendungen führe. Es sei gefährlich, diese als weniger wichtig zu erachten als die angewandte Forschung, wie es das Bundesgericht in seinem Entscheid zu den Primatenversuchen an ETH und Universität Zürich kürzlich getan habe.

An der Diskussion um Tierversuche habe sich in den letzten Jahrzehnten nichts geändert, stellten Schindler und Egerszegi-Obrist übereinstimmend fest. «Ich hoffe, dass Alternativen zu Tierversuchen uns endlich aus diesem Dilemma befreien», so Schindler.