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Schnittstelle Gymnasien und Hochschule

«Rückmeldungen an Gymnasien sind sinnvoll und wichtig»

Viel Aufregung gab es in den letzten Tagen um eine Studie der ETHZ, die auf Daten von 5216 ETH-Studierenden mit Schweizer Maturität basiert und eine Rangliste der Gymnasien erstellt hat. Bildungsexperte Professor Franz Eberle hat bereits im November 2008 Ergebnisse nationaler Leistungstests an Gymnasien vorgelegt. Im Interview mit UZH-News nimmt er Stellung zu aktuellen Fragen rund um das Thema Ausbildungsstand der Maturandinnen und Maturanden.
Marita Fuchs

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Herr Professor Eberle, Sie haben im vergangenen Jahr im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung und Forschung und der Erziehungsdirektorenkonferenz die Auswirkungen der Maturitätsreform evaluiert (EVAMAR II). Insbesondere untersuchten Sie die Studierfähigkeit der Maturandinnen und Maturanden. Dabei haben Sie grosse Unterschiede zwischen den individuellen Leistungen einerseits und zwischen Klassen andererseits festgestellt. Kann das Schweizer Bildungssystem sich solche Unterschiede leisten?

Franz Eberle: Leistungsunterschiede zwischen Individuen und auch ganzen Klassen sind normal. Es ist unmöglich, alle Maturandinnen und Maturanden auf den gleichen Kompetenzstand zu bringen. Die Unterschiede sollten sich aber auch in den Maturanoten abbilden. Das ist nur teilweise der Fall. Sie sollten zudem vor allem gegen unten nicht zu gross sein. Jeder Inhaber eines Maturitätszeugnisses sollte auch über die Qualifikation verfügen, für welche dieses steht, nämlich unter anderem die allgemeine Studierfähigkeit. Studierfähigkeit umfasst alle Kompetenzen (Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften), die unabdingbare Voraussetzung für die erfolgreiche Bewältigung eines universitären Hochschulstudiums sind, also befähigen, ein solches erfolgreich zu beginnen, durchzuführen und abzuschliessen. Allgemeine Studierfähigkeit meint dann, dass sich diese Kompetenzen in Übereinstimmung mit der allgemeinen Hochschulzugangsberechtigung auf jedes Hochschulstudium in jedem Fach erstrecken. Das Bildungssystem sollte sich nicht leisten, dass zu viele Maturandinnen und Maturanden nicht über diese so verstandene allgemeine Studierfähigkeit verfügen.

Franz Eberle: «Eintrittsprüfungen würden die Schweizer Matura und Gymnasien abwerten und die frühe Spezialisierung fördern.»

Finden Sie es sinnvoll, Gymnasien zu vergleichen und zu bewerten?

Franz Eberle: Wenn Vergleiche die wesentlichen Merkmale gymnasialer Qualitäten beinhalten, die für die einzelnen Gymnasien repräsentativ sind, ist dagegen wenig einzuwenden. Die Erfassung dieser Merkmale ist aber derart schwierig, dass so verstandene Vergleiche praktisch nicht durchführbar sind. Wird nur ein einzelnes Merkmal nach aussen publiziert, führt das zu falschen Gesamtbewertungen der einzelnen Schulen in der Öffentlichkeit. Hingegen finde ich Rückmeldungen an Gymnasien über den Studienerfolg ihrer Absolventinnen und Absolventen sinnvoll und wichtig.

Mit der Maturität wird den Schülerinnen und Schülern heute die Studierfähigkeit bescheinigt. Wäre es bei den grossen Wissensunterschieden nicht besser, wenn die Hochschulen Eintrittsprüfungen durchführen würden?

Franz Eberle: Nein, keinesfalls. Das würde die Schweizer Matura und Gymnasien abwerten und die frühe Spezialisierung fördern. Ergänzend zur allgemeinen Studierfähigkeit ist es ja ebenfalls ein Ziel des Gymnasiums, Maturandinnen und Maturanden auf die Lösung anspruchsvoller Aufgaben in der Gesellschaft vorzubereiten. Dazu braucht es Wissen und Können aus vielen Fachgebieten, das in der Fachspezialisierung universitärer Studien nicht mehr erworben wird.

Muss man sich nicht von einer allgemeinen Studierfähigkeit verabschieden? Eine andere Möglichkeit wäre es doch, die Gymnasiasten auf eine bestimmte Fakultät oder Fachrichtung hin auszubilden. Was halten Sie von der Begrenzung auf eine Fakultätsreife?

Franz Eberle: Eine lückenlose Studierfähigkeit für alle Inhaber von Maturitätszeugnissen hat es wohl gar nie gegeben. Studierende müssen deshalb in der Lage sein, allfällige Eingangslücken selbstständig schliessen zu können. Auch deshalb kommt der frühen Förderung des selbstständigen Lernens am Gymnasium grosse Bedeutung zu. Eine Begrenzung auf eine Fakultätsreife halte ich aus dem gleichen Grund wie Eintrittsprüfungen nicht für sinnvoll. Es wäre zudem schwierig festzulegen, was eine jeweilige Fakultätsreife ausmacht. Hingegen sollten für breit hochschulrelevante Teilbereiche bestimmter Fächer ungenügende Leistungen nicht mehr zulässig sein, also nicht durch gute Leistungen in anderen Bereichen kompensiert werden dürfen. Ich denke hier an grundlegende Kompetenzen bzw. Grund-Studierkompetenzen vor allem aus den Maturafächern Erstsprache, Mathematik und Englisch. Sie sind Voraussetzung für das erfolgreiche Studium einer breiten Anzahl von Fächern.

Die ETH-Studie hat gezeigt, dass wesentlich für den Studienerfolg das Alter ist. Je älter ein Studienanfänger ist, desto kleiner werden seine Chancen auf einen erfolgreichen Studienabschluss. Wie viel wird denn nach ihren Untersuchungen in einem so genannten Zwischenjahr zwischen Matura und Studium vergessen?

Franz Eberle: Die Studie hat nur gezeigt, dass ältere Studienanfänger weniger gut abgeschnitten haben. Dass das Alter kausal wäre für den Studienerfolg, bleibt aber offen. Vermutlich ist aber das Vergessen tatsächlich eine Erschwernis nach einem Zwischenjahr. In unserer Untersuchung können wir über den Vergessenseffekt insofern etwas aussagen, als die Gruppe der Maturandinnen und Maturanden, die Biologie bereits ein halbes Jahr vor der Matura oder noch eher abgeschlossen hatten, im Biologietest klar schlechter abgeschnitten haben. Dies deutet darauf hin, dass das an Maturitätsschulen erworbene Wissen nur für kurze Zeit vollumfänglich präsent ist und dass sowohl ein möglichst später Abschluss des Faches am Gymnasium wie auch eine rasche Aufnahme des Studiums aus dieser Sicht vorteilhaft sind.

In der Schweiz gibt es ja keine einheitliche Maturaprüfung für alle Schulen, sondern so genannte Hausmaturen. Wäre es nicht besser, eine einheitliche Maturaprüfung für alle Schulen einzuführen, um einen besseren Vergleich zu haben?

Franz Eberle: Eine zentrale Matura hätte viele andere Nachteile. Es braucht aber Anstrengungen zur besseren Angleichung der Unterrichts- und Maturaanforderungen auf hohem Niveau. Das erfordert Zusammenarbeit über die einzelnen Schulen hinaus und Absprachen mit den Universitäten. Das Zürcher Projekt «Hochschulreife und Studierfähigkeit» (HSGym) ist ein lobenswerter Schritt in diese Richtung. Mündliche Prüfungen und die Bewertung von Maturaarbeiten könnten zudem nur schlecht zentral durchgeführt werden. Beides sind wichtige, ergänzende Prüfungsformen,

Was raten Sie angehenden Studierenden, wie sie sich am besten auf ihr Studium vorbereiten?

Franz Eberle: Da gäbe es viel zu raten. Unter anderem rate ich, sich gut über die Anforderungen des Studiums zu informieren, sich allfällig abzeichnende Eingangswissens-Lücken frühzeitig zu stopfen, nach der Matura rasch mit dem Studium zu beginnen und sich bereits im Gymnasium in interessante Wissensgebiete anhand von Fachliteratur selbstständig einzuarbeiten.