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Hochtemperatur-Supraleitung

Physik: Die Zukunft beginnt jetzt

Statt über holprige Strassen zu brettern oder über Schienen zu rattern, könnten die Fahrzeuge der Zukunft über dem Boden schweben – lautlos, reibungslos. Mit supraleitenden Materialien scheint diese Vision zum Greifen nahe. Physiker der Universität Zürich erforschen die Grundlagen dieser Phänomene. 
Marita Fuchs

Was schwebt und ist doch keine Fantasy? – Der Hochtemperatur-Supraleitungs-Zug des Physik-Instituts der Universität Zürich.

Ein Zug schwebt durch die Luft. Eiskalt ist er, eine dünne Eisschicht überzieht Loki und Wagen. Wie von Zauberhand dreht er seine Runden. Was auf den ersten Blick wie eine Fantasy-Bahn aus einem Wintermärchen aussieht und auf Ausstellungen – etwa bei der Nacht der Forschung – Gross und Klein begeistert, ist Wissenschaft, anschaulich gemacht. Die Modellbahn schwebt wie von selbst über einer magnetischen Schiene, dank der Supraleitung.

Supraleitende Materialien weisen eine faszinierende Eigenschaften auf: Magnetfelder können sie nur bedingt durchdringen, deshalb kann ein supraleitender Gegenstand über einem Magnetfeld schweben.

Eine Gruppe um Hugo Keller, Professor für Experimentalphysik an der Universität Zürich, realisierte – basierend auf diesem Effekt – eine Magnetschwebebahn in Miniaturformat: In die Waggons ist ein neuartiges Material eingebaut, das – mit flüssigem Stickstoff gekühlt – zum Supraleiter wird. In die Fahrbahn wiederum sind Permanentmagnete eingebettet, die stark genug sind, um das Schweben zu ermöglichen. Für die Beschleunigung des Schwebezuges – nötig aufgrund der Bremswirkung des Luftwiderstandes – sorgt ein Druckluftgebläse.

Begonnen hat die Forschung an Supraleitern mit dem niederländischen Physiker Heike Kamerlingh-Onnes. Ihm gelang es vor über hundert Jahren als erstem, Helium zu verflüssigen und als Kühlmittel für Tieftemperatur-Experimente einzusetzen.

Wie von Geisterhand: In die Fahrbahn sind Permanentmagnete eingebaut, die stark genug sind, um die Bahn schweben zu lassen.

1911 kühlte er so Quecksilber auf -269°C ab und entdeckte, dass der elektrische Widerstand des Quecksilbers urplötzlich verschwand. Wenig später erhielt Kamerlingh-Onnes für seine Forschung den Nobelpreis für Physik. 1933 entdeckten die deutschen Physiker Walther Meissner und Robert Ochsenfeld den nach ihnen benannten Effekt, dass Magnetfelder in supraleitende Materialien nicht vollständig eindringen können.

Supraleitung – ein ausschliessliches Tieftemperaturphänomen?

Seit der Entdeckung der Supraleitung suchen Forscher nach Materialien, bei welchen der Effekt der Supraleitung auch bei höheren Temperaturen oder gar bei Raumtemperatur eintritt. Erst 1986 entdeckten J. Georg Bednorz und K. Alex Müller, Honorarprofessor an der Universitat Zürich, die Supraleitung bei -240°C in einer interessanten Materialgruppe: "Kuprate", das sind Keramiken aus Kupferoxiden – damit begründeten sie die so genannte Hochtemperatur-Supraleitung. Für diese bahnbrechende Entdeckung erhielten sie den Nobelpreis. Heute bekannte Kuprate sind bereits bei -138°C supraleitend.

Experimentalphysiker: hohe Schule für Tüftler

Hugo Keller und seine Forschungsgruppe bemühen sich um das prinzipielle Verständnis dieses Phänomens. «Wir betreiben Grundlagenforschung», sagt Keller. In den Laborräumen der Physiker wird viel getüftelt: zum Beispiel an Experimenten mit Supraleitern in unterschiedlich starken Magnetfeldern.

Das ist deshalb relevant, weil die Hochtemperatur-Supraleitung bei sehr hohen Magnetfeldstärken zusammenbricht. Auch elektrische Felder können den supraleitenden Effekt beeinträchtigen.

Die Gruppe von Andreas Schilling, ebenfalls Professor für Experimentalphysik an der Universität Zürich, nutzt genau diesen Sachverhalt aus. Sehr dünne, auf einem Mikrochip aufgetragene supraleitende Filme transportieren Strom widerstandslos. Trifft nun aber ein einzelnes Photon (kleinstmögliche Lichtmenge) auf den strukturierten Film, stört es das elektronische Gefüge, der supraleitende Effekt wird zerstört und der Widerstand steigt sehr schnell an. «Mit diesen hochempfindlichen Photonen-Detektoren können wir sehr schnell einzelne Photonen registrieren», erklärt Andreas Engel, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Gruppe Schilling.

Supraleitung bei Raumtemperatur?

Damit Supraleiter flächendeckend eingesetzt werden könnten, müssten sie bei Umgebungstemperatur arbeiten können. Derzeit funktionieren sie aber erst bei Temperaturen unter -138°C, und die Physiker sind auf der Suche nach Materialien, die auch bei höheren Temperaturen noch supraleitend sind.

Auf die Frage, wannder erste Supraleiter bei Raumtemperatur entdeckt wird, zuckt Hugo Keller mit den Schultern: «Der kann bereits übermorgen gefunden werden. Oder niemals.»

Falls er jedoch entdeckt würde, käme es einer Sensation gleich und würde alles revolutionieren: Energietransfer im Stromnetz ohne Leitungsverluste, supraleitende und damit reibungsfreie Magnetlager, kompakte Elektromotoren aus Supraleiterspulen – der Phantasie sind fast keine Schranken gesetzt. Und dem Entdecker wäre der Nobelpreis gewiss.