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Mode und Fotografie

«Espace construit et rêvé»

Der französische Modemacher Paul Poiret liebte prächtige Stoffe und das Spiel der Verkleidung. Seine Kreationen zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind Teil eines Gesamtkunstwerkes. Joya Indermühle geht in ihrer Dissertation der Frage nach, was Mode, Fotografie und Zeitgeist miteinander verbindet.
Roland Gysin
Joya Indermühle, Doktorandin: Poirets Mode wird nicht beiläufig getragen, sondern bewusst inszeniert.

Für 300 Gäste stehen 900 Liter Champagner bereit. Serviert von halbnackten, dunkelhäutigen Dienern unter dem Gekreisch von exotischen Vögeln und kleinen Affen: Der Modemacher Paul Poiret und seine Ehefrau und Muse Denise geben 1911 in ihrer Pariser Villa einen Empfang unter dem Motto «Tausendundzweite Nacht».

Eine exzentrische Inszenierung par excellence, die mit als Hintergrund für die Dissertation von Joya Indermühle dienen könnte. Zumindest was die Theatralik der Szenografie betrifft. In Indermühles Arbeit geht es um Mode, Ästhetik, Fotografie und Zeitgeist. Finanziert wird die Arbeit durch den Forschungskredit der Universität Zürich.

Dabei stehen weniger die lukullischen Genüsse, Ausschweifungen und einzelne Personen im Vordergrund, als vielmehr interdisziplinäre Sichtweisen auf die Modefotografie des frühen 20. Jahrhunderts am Beispiel der Kreationen von Paul Poiret. Arbeitstitel der Dissertation: «Espace construit et rêvé. Strategien der Bildproduktion in der Modefotografie zu Beginn des 20. Jahrhunderts».

Die Modefotografie soll anhand ausgewählter Darstellungen Poiret’scher Inszenierungen «im Kontext der kulturellen, gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen» neu positioniert werden.

«Frau vom Korsett befreit»

Poiret gehörte ab 1906 bis Anfang der Zwanzigerjahre zusammen mit dem rumänischstämmigen Bildhauer Constantin Brancusi und dem amerikanischen Fotografen Edward Steichen zur Pariser Hautevolee und künstlerischen Avantgarde. Später kommt auch der US-Fotograf Man Ray dazu.

Der Modemacher Paul Poiret gilt als derjenige, der «die Frau vom Korsett» befreit hat. Massgebend sind nicht mehr aufgepumpte Ringröcke, sondern Kleider mit reduzierten, klaren Formen, die nicht via Schnittmuster entstehen, sondern direkt am Körper. Bald kommen aber gewagte Kreationen dazu. Zwar bleibt der Schnitt schlicht, doch werden Stoffe und Materialien üppiger.

Fotografie und Mode fliessen zusammen

Mode wird nicht nur beiläufig getragen, sondern bewusst in Szene gesetzt, choreographiert und über das Medium der Fotografie für die Nachwelt festgehalten. Fotografie und Mode fliessen zu einer eigenständigen Kunstform zusammen.

Die Qualität der Modefotografie bemisst sich laut Joya Indermühle daran, wie Kleid und Person im Raum in Szene gesetzt sind. Mustergültig zu sehen auf dem Bild «Denise Poiret devant Brancusi», fotografiert 1922 von Man Ray.

Denise, die Frau und Muse Poirets, trägt das Modell «Mythe» und posiert vor Brancusis Skulptur «Maiastra», einem Zaubervogel, der gemäss einer rumänischen Legende für die Schönheit seines Gesanges und seiner Federn bekannt war.

«Auf dem Bild entspricht Denise keinem gängigen Schönheitsideal, sondern repräsentiert durch ihre Körperhaltung ein neues Lebensgefühl», sagt Indermühle. Sie weist alle Attribute auf, die damals für eine (fotografierte) Frau völlig untypisch waren: ungeschminkt, natürlich, dunkelhaarig und schlank.

Bewusste Vermarktungsstrategie

Poirets Mode ist von Anfang an Teil eines Gesamtkunstwerkes. Er entwirft Theaterroben und Wohnungseinrichtungen, sammelt Kunst und besitzt eine Galerie. Dazu kreiert er eine eigene Parfüm- und Kosmetiklinie. Etwas, was es zuvor nicht gab. Mode ist nicht mehr nur ein Stück Stoff, sondern eine allumfassende Daseinsform.

Poiret ist auch der erste Modemacher, der sich und seine Arbeit einer bewussten Vermarktungsstrategie unterwirft, um die Einzigartigkeit und den glamourösen Charakter seiner Produkte zu unterstreichen.

Ab etwa 1926 beginnt sein Stern zu sinken. Er stirbt verarmt 1944. Andere treten an seine Stelle. Allen voran Coco Chanel, die es nicht nur versteht, sich und ihre Arbeit («das kleine Schwarze») ebenfalls als Gesamtkunstwerk zu verkaufen, sondern vor allem auch mit den neuen industriellen Produktionsbedingungen der Modewelt besser zurecht kommt. Gefragt sind nun praktische Eleganz und nicht Absonderlichkeiten à la «Tausendundzweite Nacht».