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Neurologie

Laufen trotz Lähmung

Zürcher und amerikanischen Wissenschaftlern gelang es, gelähmte Ratten wieder zum Laufen zu bringen. Doch bis die Erkenntnisse aus diesen Forschungen auf den Menschen anwendbar sind, ist noch ein langer Weg zurückzulegen, sagt der Neurologe Grégoire Courtine von der Universität Zürich.
Roland Gysin

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Ratte, deren Rückenmark vollständig durchtrennt ist: Auf dem Laufband Gehbewegungen hervorgerufen.

Grégoire Courtine und sein Team vom Labor für Experimentelle Neurorehabilitation der Medizinischen Fakultät Zürich bringen gelähmte Ratten wieder zum Laufen. Mitbeteiligt an den Forschungen sind Wissenschaftler um den Physiologen V. Reggie Edgerton von der University of California in Los Angeles (UCLA).

Courtine und Edgerton haben Ratten getestet, deren Rückenmark komplett geschädigt war und die ihre Hinterbeine willentlich nicht bewegen konnten.

Die Ratten wurden auf ein Laufband gestellt und erhielten Medikamente, die auf die Rezeptoren des Neurotransmitters Serotonin, ein Hormon, wirken. Neurotransmitter sind chemische Substanzen, welche die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen vermitteln. Zusätzlich wurden elektrische Ströme direkt auf das Rückenmark unterhalb der Verletzung verabreicht.

Selbstständiges Gehen nicht möglich

Die Kombination von Laufband, Medikamenten und Elektrostimulation rief die Gehbewegungen hervor. «Das Rückenmark enthält offenbar Schaltkreise, die – obwohl ohne Verbindung zum Gehirn – rythmische Aktivitäten erzeugen, welche dem normalen Gang sehr ähnlich sind», sagt Courtine.

«Mit Hilfe einer Tragkonstruktion können die Ratten sich vorwärts, rückwärts und seitwärts bewegen und sogar rennen und dabei ihr volles Körpergewicht tragen.» Sie waren jedoch nicht in der Lage, selbstständig und auf einer willentlichen Basis zu gehen, sondern nur auf dem Laufband.

Nächstes Ziel ist es, die Schaltkreise im Rückenmark so umzugestalten und zu fördern, dass querschnittgelähmte Ratten mit Hilfe von neuroprothetischen Interfaces die Fähigkeit frei und gewollt über verschiedenen Oberflächen zu gehen, wiedererlangen können.

Courtine und seinen Kollegen vermuten, dass ähnliche Versuchsanordnungen auch für Menschen mit Rückenmarkschädigungen erfolgversprechend sein könnten.

Doch bis dahin sei noch ein weiter Weg zurückzulegen, gibt Courtine zu Bedenken. «Wir müssen zuerst herausfinden, wie und wo wir beim Menschen mit der Elektrostimulation ansetzen müssen und welche Medikamente in welcher Dosis wir verabreichen können».

Zusammenarbeit mit anderen Forschergruppen angesagt

Gefragt sind auch die Techniker. Courtine: «In Zusammenarbeit mit den ETH-Professoren Janos Vöros, Manfred Morari und dem ETH-Mitarbeiter Silvestro Micera entwickeln wir momentan neuroprothetische Elektrodenarrays und Strategien, um das Rückenmark an verschiedenen Stellen gleichzeitig zu stimulieren.»

Die Absicht dahinter: Die Effektivität der Interventionen zu erhöhen und eine detailliertere und flexiblere Kontrolle des Ganges zu ermöglichen. «Diese neuroprothetischen Interfaces werden auch im Hinblick auf die Anwendung bei Menschen gestaltet», sagt Courtine.

Zudem soll auch die Zusammenarbeit mit dem Neurologen Martin Schwab von der Universität Zürich vorangetrieben werden. «Wir möchten das Potential der Kombination unserer Interventionen und der anti-Nogo-A Behandlung erforschen.»

Forscherinnen und Forscher um Martin Schwab, Direktor des Instituts für Hirnforschung der Universität Zürich, konzentrieren ihre Forschungen seit 1988 auf Rückenmarksverletzungen, bei denen die Nerven nicht vollständig durchtrennt sind. Damals entdeckten sie ein Eiweiss, das nur im Zentralnervensystem vorkommt und dort als Stoppsignal die Nervenregeneration verhindert.

Schwab taufte das Molekül Nogo («geht nicht»). Es sitzt in der Hüllschicht, welche die Nervenfasern im Rückenmark umgibt. Schwabs Arbeitsgruppe stellte einen spezifischen Antikörper her, der die Bremswirkung von Nogo ausser Kraft setzt und die Nerven nach einer Verletzung wieder auswachsen lässt.