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Ökonomentag

Das grosse Wundenlecken

Waren bis vor kurzem staatliche Regulierungen des Teufels, feiert der Keynesianismus ein Jahr nach der Lehman-Pleite ein Comeback. Doch welches die richtige Dosis ist, ist schwer zu sagen. So das Resultat des 10. Schweizer Ökonomentages organisiert von den Oec Alumni der Universität Zürich.
Roland Gysin
Podiumsteilnehmer (v.l.n.r.): George A. Akerlof, Fabrizio Zilibotti, Stefan Gerlach und Klaus W. Wellershoff.

Sherlock Holmes und Dr. Watson machen einen Ausflug mit dem Zelt. Mitten in der Nacht erwacht Holmes und weckt Watson auf. Ob ihm nichts auffalle. Watson blickt zum Sternenhimmel und vermutet, Holmes erwarte von ihm eine fundierte Analyse dessen, was er sieht. Und so gibt Watson eine astronomische, astrologische und physikalische Erklärung ab. Holmes schüttelt den Kopf. Er ist unzufrieden. «Watson, ihre Deutungen treffen den Kern der Sache nicht.» Watson: «Nämlich?» Holmes: «Man hat uns das Zelt gestohlen.»

Was als Ankedote daherkommt, ist für Klaus W. Wellershoff, Ex-Chefökonom der UBS, bitterer Ernst. Die Branche der Experten hat offenbar während Jahren nicht gemerkt, dass die Weltwirtschaft auf eine ihrer grössten Krisen zusteuerte. Kein Wunder, haben Wirtschaftswissenschafter aktuell einen schweren Stand. Seit der Pleite der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers stehen sie im Regen.

Waren Staatseingriffe in den letzten Jahre verpönt, feiert der Keynesianismus heute ein Comeback. Und automatisch stellt sich die Frage, wie viel und wo die öffentliche Hand in den freien Markt eingreifen soll. Das war auch das Thema des 10. Schweizer Ökonomentages: «Beyond Keynes and Friedman. Is there an optimal balance between government policy and free market forces?».

Die Rolle der Psychologie unterschätzt

Auf dem Podium sass unter anderem George A. Akerlof, Wirtschaftsprofessor an der University of California in Berkeley, Ehrendoktor der Universität Zürich im Jahr 2000 und 2001 Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften. Seine Hauptthese: Freie Märkte funktionieren nicht, wenn Käufer und Verkäufer ungleichen Zugang zu Informationen haben. «Confidence plainly matters, and so does the absence of it».

George A. Akerlof, Nobelpreisträger, Berkeley: Und plötzlich bricht das Kartenhaus rasend schnell zusammen.

Zentral für Akerlof ist auch die Rolle der Psychologie (siehe Literaturhinweis). Der Markt tendiere dazu, das Vertrauen der Menschen auszunutzen und ihnen, Luftschlösser oder warme Luft (englisch: «snake oil») anzudrehen.

Oder wie es ein Verantwortlicher der amerikanischen Grossbank National City Corps ausdrückte: «While the music plays, we have do dance». Das geht gut, so lange alle mitmachen und niemand merkt oder merken will, dass der Kaiser ohne Kleider dasteht. Und dann plötzlich bricht das Kartenhaus rasend schnell zusammen, meint Akerlof.

Für ihn ist klar, dass staatliche Regulatoren künftig mehr gefordert sind und vor allem «Schattenbanken» (reine Investmentbanken) stärker an die Kandare nehmen müssen.

Risikomanager sind gefordert

Wirklichen Widerspruch erntete Akerlof mit dieser Forderung nicht, auch wenn Fabrizio Zilibotti, Gesprächsleiter und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Zürich, den Standpunkt von der «Krise als Reinigungseffekt» vertrat und darauf hinwies, dass staatliche Eingriffe immer nur temporär sein sollten.

Fabrizio Zilibotti, Wirtschaftsprofessor, Zürich: «Krise als Reinigungseffekt».

Ein wichtiges persönliches Arbeitsfeld sieht er darin, analytische Instrumente zu entwickeln, mit denen sich die «Informationskomplexitäten» besser in den Griff kriegen lassen.

Stefan Gerlach, Professor und Leiter des «Institute for Monetary and Financial Stability» der Goethe Universität in Frankfurt, mahnte dazu, Rating-Agenturen in die Pflicht zu nehmen. Vorhersagen und Einschätzungen seien zurückhaltender zu formulieren.

Sein Rezept gegen die Krise betrifft vor allem die Zentralbanken. Die Regulierung solle über die Geldmenge passieren. Je günstiger diese das Geld den Geschäftsbanken zur Verfügung stellen, desto besser – unter Berücksichtigung der Inflationsgefahr.

Stefan Gerlach, Wirtschaftsprofessor, Frankfurt: Rating-Agenturen künftig in die Pflicht nehmen.

Gefordert seien aber auch die Risikomanager der Finanzinstitute selbst. «Wenn die Strasse eine Kurve macht, und Sie geradeaus weiterfahren, dürfen Sie nicht die Strassenbauer dafür verantwortlich machen.»

Am härtesten mit sich selbst und der Zunft der Wirtschaftsexperten ins Gericht ging Klaus W. Wellershoff, während zwölf Jahren Chefökonom der UBS und zuletzt Leiter Wealth Management Research. Heute ist Wellershof selbstständiger Berater.

Credo für mehr Bescheidenheit

«Wir haben Fehler gemacht. Wir haben geirrt», so seine Hauptaussage. Was als Analyse daherkommen sollte, sei oft als Wahrheit verkauft worden. Auf die Frage etwa, wie sich der Dollarkurs entwickeln würde, hätten neun von zehn Ökonomen eine präzise Aussage gemacht. «Obwohl sie gewusst haben, dass dies unseriös ist», kritisiert Wellershoff. «Wir wissen zwar viel über den Dollar, aber nicht wie hoch der Wechselkurs zum Schweizer Franken am 31. Dezember sein wird.»

Klaus W. Wellershoff, Berater, Ex-Chefökonom UBS, Zürich: «Wir haben Fehler gemacht. Wir haben geirrt».

Wellershoffs Worte lassen sich als ein einziges grosses Credo für mehr Bescheidenheit verstehen. «We can do good for our clients, if we break with the past». Und den Leuten reinen Wein einschenken, müsste man wohl hinzufügen.

Denn dass die Krise vorbei ist, daran glauben zumindest Wellershoff und Akerlof nicht. Umsomehr als der Nobelpreisträger auf die Frage aus dem Publikum, welcher Faktor neben dem Bruttosozialprodukt den Zustand einer Volkswirtschaft am besten beschreibe, zur Antwort gab: «Die Arbeitslosenrate.» Und die war in den USA mit 9,7 Prozent im August 2009 so hoch wie seit 26 Jahren nicht mehr.