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Linguistische Analyse des US-Wahlkampfes

Harter Kampf um Schlagwörter

Mit Hilfe eines Supercomputers durchleuchten zwei Zürcher Linguisten die Rhetorik der beiden Kandidaten für die US-Präsidentschaft. Barack Obama stellt den Wechsel, der von beiden beschworen wird, in einen viel globaleren Kontext als sein Rivale John McCain.
Simone Buchmann

Stellte seinen Wahlkampf von Anfang an unter das Schlagwort «Change»: Barack Obama, hier bei einer Rede an der American University.

Barack Obama hat mit seiner Change-Rhetorik dem amerikanischen Wahlkampf den Stempel aufgedrückt. Seiner politischen Agenda gemäss benutzte Obama das Wort in der Anfangsphase des Wahlkampfs acht Mal häufiger als sein Rivale John McCain. Eineinhalb Jahre später hat McCain mächtig aufgeholt: Er verwendet das Wort nun fast ebenso oft wie Obama. Das Schlagwort «Change» (Wechsel) ist in der Öffentlichkeit auf so breite Resonanz gestossen, dass McCain offenbar nicht umhin kam, sich den Begriff ebenfalls anzueignen.

Begriffe besetzen

Zu diesen Ergebnissen kommt eine linguistische Langzeitanalyse von Noah Bubenhofer und Joachim Scharloth. Beide sind wissenschaftliche Assistenten am Deutschen Seminar der Universität Zürich und untersuchen zusammen mit dem Historiker Martin Klimke vom German Historical Institute in Washington D.C. die Reden und Debatten der beiden Präsidentschaftskandidaten.

John McCain bei der Ankündigung seiner Kandidatur. Der Republikaner führte «Change» erst später in seinen Wahlkampf ein.

Wahlkampf ist immer auch ein Kampf um die Besetzung von Schlagwörtern. Und kaum jemand beherrsche dieses Machtpoker wohl besser als die amerikanischen Wahlkampfstrategen, ist Scharloth überzeugt. Das macht den derzeitigen Präsidentschaftswahlkampf zum gefundenen Fressen für die drei Wissenschaftler. Für ihre Analyse setzen sie modernste Mittel ein: Mithilfe des Black Forest Grid, eines Supercomputers, der über enorme Rechenkapazitäten verfügt, suchen sie in grossen Textmengen nach Schlüsselwörtern, die Aufschluss geben über die politische Positionierung und das Image, das sich der Kandidat in der Öffentlichkeit zulegen will.

Hilfe vom Supercomputer

Die Auszählung von Wörtern musste früher von Hand erfolgen. «Neben der erhöhten Kapazität bringt der Supercomputer den entscheidenden Vorteil, dass wir die Wörter, nach denen wir suchen, nicht im Voraus definieren müssen», sagt Bubenhofer. Der Text kann beispielsweise nach dem Wort abgesucht werden, das in einer Debatte am häufigsten erwähnt wurde.

Für die Linguisten besonders spannend sind aber nicht nur einzelne Wörter, sondern auch Wortkombinationen, sogenannte Kollokationen. Will McCain also das Wort «Change» auch für seine Kampagne fruchtbar machen, so muss er versuchen, den Begriff in seinem Sinn zu besetzen. Dies geschieht durch die Wörter, die in den Reden in unmittelbarer Nachbarschaft zum Wort Change auftauchen.

«Change» ist nicht gleich «Change»

Die Forscher haben deshalb sowohl für Obama wie auch für McCain eine Liste mit Wörtern erstellt, die sie häufig im Zusammenhang mit Change nennen. McCain erwähnt beispielsweise häufig die Wörter Government (Regierung), Policy (politische Strategie) oder Job (Arbeit), verwendet den Begriff also primär für nationale Belange.

Die Grafik veranschaulicht, wie Obama und McCain das Wort «Change» in unterschiedlichen Kontexten verwenden.

Obama deutet den Begriff international und verwendet ihn in Zusammenhang mit Wörtern wie World (Welt), Global (weltweit) oder Time (Zeit). Bei beiden etwa gleich häufig sind Kombinationen von Change mit Climate (Klima), We (wir) oder Washington. Generell verwendet Obama den Begriff vielseitiger und differenzierter als McCain.Für Scharloth stützt dieser Befund seinen Eindruck der Kandidaten: Obama wirkt intellektueller und weniger fassbar, während McCain sich als Macher mit konkreten Konzepten präsentiert.

Probelauf

Schliesslich und endlich ist das Projekt jedoch nur ein Probelauf. «Eigentlich wollen wir testen, ob sich unsere Methode bewährt und ob wir damit zutreffende Aussagen machen können», sagt Scharloth. Das eigentliche Ziel der beiden Linguisten ist es, die Treffgenauigkeit von Suchmaschinen im Internet zu verbessern.

Zu diesem Zweck haben sie das Projekt Semtracks gegründet. In Zusammenarbeit mit Computerspezialisten sollen neue Methoden zur Erforschung von Texten entwickelt werden. «Eigentlich sollte es möglich sein, gezielt nach Textsorten zu suchen», erläutert Bubenhofer. «Es ist zum Beispiel denkbar, mit Hilfe von typischen Wortkombinationen, die erst noch eruiert werden müssen, automatisch die Antrittsreden demokratischer und republikanischer Präsidenten zu unterscheiden.»

Bloggen in aller Früh

Ihre Analysen zum amerikanischen Wahlkampf publizieren sie auf einem ebenso modernen wie für wissenschaftliche Arbeiten ungewöhnlichen Kanal: einem Blog. «Da unser Thema sehr aktuell ist, können wir unsere Ergebnisse so auf einfache Weise einer interessierten Leserschaft zugänglich machen», sagt Scharloth. Am Tag unseres Treffens sind sie in aller Frühe aufgestanden, um nach dem zweiten Fernsehduell von Obama gegen McCain die Daten auszuwerten.

Laut Scharloth werden die wortgenauen Abschriften der Duelle in den USA nur kurze Zeit nach Ende der Debatte ins Internet gestellt, was ihre Arbeit natürlich erheblich vereinfacht. Für die verschiedenen statistischen Auswertungen der Textkorpora, die insgesamt über eine Million Wörter beinhalten, braucht der Computer nur gerade zwanzig Minuten. «Unser Kollege in Washington hat unterdessen übernommen und wird noch die Schlussfolgerungen verfassen», sagen die beiden übereinstimmend, etwas müde zwar, aber sichtlich zufrieden.