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Abschiedsvorlesung von Prof. Hans-Christoph Steinhausen

«Es lohnt sich, Kinder- und Jugendpsychiatrie zu betreiben»

Nach über 20 Jahren wird Professor Hans-Christoph Steinhausen, Ärztlicher Direktor des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes des Kantons Zürich, emeritiert. In seiner Abschiedsvorlesung zog er Bilanz.
Theo von Däniken

Sei es «Kampftrinken», Drogenkonsum, Gewalt in der Schule oder Erziehungsmethoden: Die Jugend steht derzeit an verschiedensten Fronten im Fokus der Medien und der Öffentlichkeit. Jenseits jedes modischen Medien-Hypes beschäftigt sich der Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienst des Kantons Zürich seit Jahrzehnten mit der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Unter seinem Ärztlichen Direktor, Professor Hans-Christoph Steinhausen, hat der Dienst dabei zahlreiche international beachtete Studien erstellt und wesentliche Beiträge zur Entwicklung des Faches geleistet.

Regierungsrat Thomas Heiniger dankte Hans-Christoph Steinhausen für seinen grossen Einsatz für den KJPD, der dem Kanton Zürich international Anerkennung bringe.

Steinhausen habe den Dienst zu grossem internationalem Renommee geführt, erklärte Regierungsrat und Gesundheitsdirektor Thomas Heiniger im Rahmen der Abschiedsvorlesung von Hans-Christoph Steinhausen. «Der KJPD nimmt international eine Spitzenposition ein.» Dies sei Steinhausens grossem Engagement zu verdanken, der dem Dienst nicht nur ein Gesicht «sondern einen klugen Kopf» verliehen habe.

Jugend heute: kein Grund zur Panikmache

In Steinhausens Bilanz über die vergangenen 20 Jahre war von der in den Medien verbreiteten Alarm-Stimmung wenig zu finden. Insbesondere bei Journalistinnen und Journalisten sei die Frage beliebt, ob psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen zugenommen hätten. Um sie zu beantworten, fehlten jedoch zuverlässige Daten, führte Steinhausen aus: «Studien, welche die Häufigkeit von psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen über angemessene Zeiträume untersuchen, gibt es schlichtweg nicht.» Dennoch liessen sich Trends ablesen und die zeigten: «Es gibt wenig überzeugende Hinweise, dass psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahrzehnten insgesamt bedeutend zugenommen haben.»

«Es gibt wenig überzeugende Hinweise, dass psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahrzehnten insgesamt bedeutend zugenommen haben», zog Hans-Christoph Steinhausen Bilanz.

Mit der «Zürcher Adoleszenten-Psychologie und Psychopathologie-Studie» (ZAPPS) hat Steinhausen selber eine der wichtigsten Langzeitstudien durchgeführt, aus der sich solche Entwicklungen erkennen lassen. Für eine Zeitspanne von drei Jahren konnte er in der ZAPPS vergleichbare Untersuchungen für 14 – 16-jährige machen. «Es finden sich wenig Hinweise auf Periodeneffekte», zog Steinhausen Bilanz, auch wenn in einzelnen Bereichen, etwa beim Nikotin- und Haschischkonsum, durchaus Veränderungen bemerkbar sind.

Stark differenzierte Therapiemöglichkeiten

Hat sich in der Häufigkeit von psychischen Störungen über die vergangenen 20 Jahre also wenig Grundlegendes verändert, so konnte das Verständnis über ihre Ursachen erheblich weiter entwickelt und differenziert werden, wie Steinhausen ausführte. Bedeutend war insbesondere der Einbezug der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen und ihres Umfeldes als wichtige Faktoren in der Beurteilung möglicher Störungen. Hinzu kam das Konzept, dass nicht nur belastende Faktoren, sondern auch Schutzfaktoren, etwa emotionale Zuneigung durch die Eltern oder Akzeptanz im Freundeskreis, Einfluss auf die Entwicklung haben. In seiner ZAPPS-Studie konnte Steinhausen das Zusammenspiel solcher Faktoren untersuchen. Dabei stiess er auf ein bedeutendes Ungleichgewicht von Risiko- und Schutzfaktoren.

Entsprechend der differenzierteren Kenntnis über die Ursachen haben sich auch die therapeutischen Konzepte stark weiter entwickelt. Sei früher die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen im wesentlichen Pädagogik gewesen, so beruhe die Behandlung heute vor allem auf evidenz-basierten Methoden wie Verhaltens- und Psychopharmako-Therapien. Entsprechend biete der KJPD heute ein sehr breites Spektrum an Spezialsprechstunden, etwa zu Autismus, Ess-Störungen, Schulverweigerung, etc. an. Auch das Therapieangebot deckt eine breite Palette von Gruppentherapien bis Neurofeedback ab.

Verläufe noch nicht befriedigend

Trotz dieser grossen Breite an Therapien seien die langfristigen Verläufe und Heilungsmöglichkeiten noch nicht befriedigend, räumte Steinhausen ein. Allerdings liessen sich die Auswirkungen von verbesserten Therapien noch nicht abschätzen. Wie er jedoch in einer Studie zur Ess-Störung zeigte, haben Kinder und Jugendliche günstigere Heilungschancen als Erwachsene. «Es lohnt sich also, mehr Kinder- und Jugendpsychiatrie zu betreiben», schlussfolgerte Steinhausen.

Interdisziplinär und am Schnittpunkt zwischen Wissenschaft und Praxis: Friedrich Wilkening (l.), Prodekan der Philosophischen Fakultät, Klaus Grätz (2. v. l.), Dekan der medizinischen Fakultät, und Regierungsrat Thomas Heiniger (r.) überbrachten Hans-Christoph Steinhausen zum Abschied Grussbotschaften.

Er hoffe, dass sich der Kanton weiterhin stark für die Kinder- und Jugendpsychiatrie einsetze. Denn rund ein Fünftel der Bevölkerung sei unter 18 Jahre alt. Die Versorgung für diesen wichtigen Teil der Bevölkerung brauche weiterhin grosse gesellschaftliche und politische Unterstützung.

Steinhausen selber wird sich auch nach der Emeritierung weiterhin mit vollem Engagement seinem Fachgebiet widmen. So hat er noch rund zwei Dutzend wissenschaftliche Projekte, die er weiter betreuen will. Ausserdem wird er seine akademische Tätigkeit an einer dänischen Universität weiterführen.