Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Emeritierung von Prof. Hans Geiger

«Im Bankengeschäft gibt es einen Lemming-Effekt»

Ökonomieprofessor Hans Geiger wird emeritiert. Er war vor zehn Jahren der erste Professor am Institut für Schweizerisches Bankenwesen, dessen Lehrstuhl von der Privatwirtschaft finanziert wurde. Geiger hat sich als kritischer Beobachter der Finanzindustrie einen Namen gemacht.
Thomas Gull

Hans Geiger war der erste Professor am Institut für Schweizerisches Bankenwesen mit einem von der Privatwirtschaft finanzierten Lehrstuhl.

Herr Geiger: Sie halten am 27. Mai Ihre Abschiedsvorlesung als Professor für Betriebswirtschaftslehre zum Thema «Banken und Vertrauen». Eine sehr aktuelle Frage. Kann man den Banken noch vertrauen?

Hans Geiger: Ich werde zwei Fragen diskutieren. Die eine lautet: Sollen die Kunden ihren Banken Vertrauen schenken? Die andere: Sollen die Banken den Kunden Vertrauen schenken? Ich beantworte beide mit Nein.

Das klingt beunruhigend.

Hans Geiger: Es kommt darauf an, was man unter Vertrauen versteht. Es gibt zwei Konzepte von Vertrauen – Trust oder Confidence. Trust bedeutet, sich willentlich von einem anderen abhängig zu machen, in der Annahme, dass man nicht enttäuscht wird. Das ist das traditionelle Vertrauen, das man in geschäftlichen Beziehungen nicht haben sollte. Die Kunden sollten nicht einfach vertrauen und mit dem Herzen über die Bankverbindung entscheiden, sondern mit dem Kopf aufgrund von Fakten und Erfahrungen.

Was man beobachten kann, ist eine zyklische Wiederkehr von Bankenkrisen, die heutige UBS beispielsweise hat es innerhalb von zehn Jahren bereits zum zweiten Mal erwischt. Weshalb geraten auch die grossen Banken immer wieder in existenzielle Krisen, die sie selber verschuldet haben?

Hans Geiger: Das Bankgeschäft ist stark zyklisch. Es gibt einen Lemming-Effekt, das heisst, alle rennen in die gleiche Richtung. Der Herdentrieb ist bei den Bankiers besonders ausgeprägt. Das verstärkt die Hochs genauso wie die Abstürze. Dabei wäre die Lehre eigentlich klar: die Banken müssten sich antizyklisch verhalten.

Nur macht das niemand?

Hans Geiger: Die UBS hat 2002/2003, als die anderen Banken ihre Aktivitäten im Investment-Banking zurückfuhren, diesen Bereich ausgebaut und sich so eine sehr starke Position aufgebaut. Dafür hat es sie jetzt umso brutaler erwischt.

Weshalb gibt es diesen Lemming-Effekt, wenn man es eigentlich besser wissen müsste?

Hans Geiger: Die Anreizsysteme für die Angestellten in den Banken sind falsch. Die Boni sollten nicht abhängig sein vom Umsatz, weil dadurch der Anreiz geschaffen wird, den kurzfristigen Profit anzustreben. Das ist nicht im Interesse der Kunden und langfristig auch nicht im Interesse der Bank und der Aktionäre. Deshalb sind die Boni wie sie heute ausgestaltet sind problematisch.

Wie müssten die Anreize richtig gesetzt werden?

Hans Geiger: Im Idealfall verhält sich der Mitarbeiter so, dass er sowohl in seinem eigenen Interesse wie auch in jenem der Kunden und der Aktionäre handelt. Heute weiss man, dass die Kurzfristigkeit der Anreize ein Problem ist. Es gibt Modelle, die darauf basieren, grundsätzlich einen Bonus zu versprechen, diesen aber erst ein paar Jahre später auszubezahlen, unter der Bedingung, dass sich die Geschäfte in diesem Zeitraum positiv entwickelt haben. Damit könnte verhindert werden, dass Geschäfte gemacht werden, die zwar kurzfristig profitabel, aber langfristig schlecht sind. Solche Bonussysteme werden im Moment bei einigen Banken eingeführt.

Sie selber haben an der Universität Zürich studiert und als Assistent gearbeitet, bevor Sie in die Privatwirtschaft wechselten und bei der damaligen Schweizerischen Kreditanstalt Karriere machten. 1997 sind Sie dann als Ordinarius an die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät berufen worden. Sie kennen das Bankenwesen von der praktischen wie von der akademischen Seite. Wie hat sich das Bankengeschäft in den letzten Jahren verändert?

Hans Geiger: Die Veränderungen waren unglaublich: Ich habe 1970 die Universität als Oberassistent verlassen und bin 1997 wieder zurückgekommen. Alles, was ich 1997 unterrichten musste, war 1970 noch nicht im Lehrplan. Die Wirtschaftswissenschaften haben sich innerhalb von 30 Jahren grundlegend verändert. Das musste ich zuerst einmal verdauen. Die wesentlichen theoretischen Konzepte, die 1997 zum Lehrplan gehörten, gab es 1970 noch nicht. Das gilt etwa für die Optionspreistheorie oder die Risikoberechnung. Die ganze Finanzmathematik hat sich enorm entwickelt. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch der technologische Fortschritt, der es möglich machte, grosse Datenmengen zu verarbeiten und Modelle durchzurechnen.

Was hat Sie bewogen, aus der Privatwirtschaft an die Universität zu wechseln?

Hans Geiger: Als ich 1970 zur Kreditanstalt ging, dachte ich, wenn ich mit 50 Direktor bin, habe ich eine steile Karriere gemacht. Dann war ich mit 43 Generaldirektor. Nach zehn Jahren habe ich mir überlegt, was ich im Leben noch machen möchte. Ich hätte vielleicht noch einmal zehn Jahre Generaldirektor bleiben können, wollte aber noch etwas anderes erleben. In dieser Zeit hat mich Professor Ernst Kilgus, der das Institut für Schweizerisches Bankenwesen gegründet hat und es damals leitete, gefragt, ob ich nicht sein Nachfolger werden wolle. Das meine Überlegungen natürlich beschleunigt. Gut, ich musste dann auch noch gewählt werden. Die Fakultät hat ja nicht unbedingt auf einen alten Generaldirektor gewartet.

Sie waren 1997 der erste Professor am Institut für Schweizerisches Bankenwesen mit einem von der Privatwirtschaft finanzierten Lehrstuhl. In den letzten Jahren hat sich in dieser Hinsicht einiges verändert, 2006 wurde das Swiss Finance Institute (SFI) mit grossen Beiträgen der Banken gegründet. Wie haben Sie diese Veränderungen erlebt?

Hans Geiger: Für mich stellen sich hier zwei Fragen. Die erste wäre: Was ist die optimale Ausstattung der Universität mit Lehrstühlen im Bereich Finance? Die damit verbundene Frage lautet: Wer soll das bezahlen? Im Fall der Universität Zürich finanziert in der Regel der Steuerzahler die Lehrstühle. Bei der ETH war es nie so streng, dort wurden schon lange Professuren mit Geld aus der Wirtschaft finanziert. Die Universität war lange Zeit viel zurückhaltender. Ich denke, es ist eine gute Sache, wenn die Industrie Geld zur Verfügung stellt. Als mein Lehrstuhl geschaffen wurde, hat man sich gefragt, ob das zu Interessenkonflikten führen könnte, und ob die Freiheit der Forschung gewährleistet sei. Heute wird diese Frage nicht mehr gestellt. Letztendlich ist entscheidend, dass man einen Dozenten findet, der gut forscht und gute Lehre betreibt.

Was machen Sie nach der Emeritierung?

Hans Geiger: Velo fahren, Reiten, Rudern. Mein nächstes Ziel ist, am 1. November beim Rudermatch Uni-ETH im Professorenachter mitrudern zu können, wenn wir erstmals das Team der ETH besiegen. Dafür trainiere ich ein bis zweimal pro Woche, aber es ist nicht einfach, ins Boot zu kommen. Weitergehende Pläne habe ich nicht.

Hat es sich rückblickend gelohnt, noch einmal etwas anderes zu machen?

Hans Geiger: Auf jeden Fall. Doch der Start war hart. Meine ersten Kreditvorlesungen waren so etwas wie ein Debakel (lacht). Aber die Universität ist eine wunderbare Institution – es gibt nichts Schöneres als mit intelligenten, ambitionierten und wohlerzogenen jungen Leuten arbeiten zu können.