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Von exaltiert bis normal - Schwule und Lesben in TV-Serien

Seit vergangenem Jahr werden im deutschsprachigen Fernsehen die Serien «Queer as Folk» und «The L-Word» gezeigt, die beide in homosexuellen Kreisen spielen. Welches Bild von homosexuellen Menschen diese Serien der Gesellschaft vermitteln, fragt Dana Frei in ihrem Dissertationsprojekt. Sie wird dabei vom Forschungskredit der Universität Zürich unterstützt.
Stefanie Kahmen

Was noch vor 15 Jahren undenkbar war, beschert Pro7 heute gute Einschaltquoten: Anfang 2006 nahm der deutsche Privatsender die kanadisch-amerikanische Schwulen-Fernsehserie «Queer as Folk» ins Nachtprogramm auf. Und «The L-Word», eine preisgekrönte US-Serie um eine lesbische Frauenclique in Los Angeles, wurde ab Mitte 2006 im deutschsprachigen Fernsehen ausgestrahlt. Beiden Serien gemein ist, dass sie in einer homosexuellen Filmwelt spielen, in welcher heterosexuelle Figuren Aussenseiter sind.

Wie häufig in Serien werden die Personen und ihre Lebenswelt sehr überzogen dargestellt: es geht um Sex, Liebe und Freundschaft, und alle Charaktere sind ausschliesslich wunderschöne Menschen. Was für das Publikum amüsant bis attraktiv oder zumindest von gewissem Unterhaltungswert ist, wirft bei Dana Frei Fragen auf: «Welche gesellschaftlichen Konsequenzen kann die Ausstrahlung dieser Serien durch die in ihnen gewählte Repräsentationsart von Homosexualität haben? Und zeigt die Popularität dieser Serien bereits, dass Homosexualität als alternative sexuelle Orientierung salonfähig geworden ist?» Die Doktorandin des Instituts für Populäre Kulturen geht in ihrer Dissertation «Challenging Heterosexism from the Other Point of View – Representations of Homosexuality in Present-Day Television Series» der Frage nach, wie Homosexualität in den zwei Serien dargestellt und thematisiert wird, da diese als populäre Unterhaltungsformen die gesellschaftliche Wahrnehmung von Homosexualität beeinflussen könnten.

«Queer as Folk»: Schwulen-Fernsehserie mit Kultstatus.

Turbulentes Liebesleben

Beide Fernsehserien wurden für die USA produziert und dort ausgestrahlt, wobei «Queer as Folk» auf einer britischen Vorlage basiert, die bereits 1999 dem englischen Publikum präsentiert wurde. Beide Serien hatten in den USA grossen Erfolg und erlangten schnell Kult-Status. «Queer as Folk» handelt vom turbulenten Liebesleben in einer Gay-Community in Pittsburgh, die Themen kreisen um Sex, Drogen und Techno. Und auch in «The L-Word – Wenn Frauen Frauen lieben» dreht sich alles um Sexualität, Leben und Lieben, allerdings anhand einer lesbischen Frauenclique in Los Angeles. In beiden Serien werden auch sozialkritische Themen behandelt, die homosexuelle Menschen besonders betreffen: Aids, Samenspende, Kindsadoption, Coming-out und die «Homoehe». «Die Darstellung dieser homosexuellen Welten mit ihren spezifischen Problemen in Fernsehserien kann einerseits dazu führen, dass Vorurteile gegenüber Homosexuellen hinterfragt werden», sagt Dana Frei. «Andererseits wird durch die überzogene Darstellung eine Aussage über die Identität einer Gruppe getroffen – zum Beispiel: alle Schwule denken nur an Sex und Drogen. Dadurch können sich Vorurteile verstärken.»

Umkehrung der Normalität

Ihre zentralen Fragen fasst die Doktorandin so zusammen: «Was bewirkt diese Umkehrung der Normalität in den Serien, also die Darstellung von Homo- statt, wie gewohnt, von Heterowelten, bei uns? Werden die hetero-normativen Erwartungen der Gesellschaft in Frage gestellt? Kann die Darstellung von parodistischen, tuntigen und zwischengeschlechtlichen Charakteren die gesellschaftlichen Geschlechtsfestlegungen und Homophobie blossstellen? Welche Stereotypen werden benutzt, welches Homosexuellenbild wird vermittelt und welche Vorurteile werden verstärkt?» Das Filmmaterial bietet ihr zwei Analyseansätze. «Ich werde bei einzelnen Filmsequenzen einerseits die Charaktere genauer betrachten und andererseits die Art, wie die Geschichten erzählt werden, hinterfragen: Welche rhetorischen und welche visuellen Mittel werden eingesetzt?»

«The L-Word»: Wenn Frauen am Fernsehen Frauen lieben.

Foucault und Derrida

Zur Analyse von «Queer as Folk» und «The L-Word» zieht Dana Frei verschiedene Theorien heran, unter anderem Michel Foucault (1926-1984). Foucault argumentiere in «History of Sexuality», dass seit 1870 die sexuelle Vorliebe den Charakter definiere. Das bedeute, dass ein homosexueller Mann als eine Spezies mit bestimmten Attributen angesehen werde. «Heutzutage erwartet man beispielsweise erhöhte Sensibilität und Affektiertheit bei einem schwulen Mann – also Charaktereigenschaften, die mit seiner Sexualität eigentlich nichts zu tun haben, wir ihm aber aufgrund seiner sexuellen Orientierung zuschreiben», erklärt Dana Frei. Das Phänomen lässt sich auch in «Queer as Folk» beobachten: «Die Charaktere sind alle sehr smart und in erster Linie homosexuell. Alle weiteren Merkmale wie Beruf oder Hobbys zeichnen sich in den Serien nur undeutlich ab. Soweit ist die Fernsehbranche wohl noch nicht, dass Charaktere erst in zweiter Linie homosexuell sein können.»

Auch zu Jacques Derridas (1930–2004) Theorie der Dekonstruktion gebe es ein schönes Beispiel in «Queer as Folk», erläutert Dana Frei weiter. «In der Homowelt der Serie sind die Heterosexuellen aussenstehend und wirken deplatziert.» So lebe die Mutter eines Schwulen aus der Männerclique in der Homowelt ihres Sohnes. Probleme entstünden, als sie ihren neuen Partner in die Gruppe einführt. «In der Gruppe ist der heterosexuelle Freund der Fremde, der Andere. Da die Mutter sich über die Homowelt des Sohnes definiert, muss sie sich von ihrem Freund abgrenzen. Hier wird die Normalität der Heterowelt dekonstruiert.»

Butler und Bakhtin

Die Darstellung eines zwischengeschlechtlichen Charakters in «The L-Word» führt Dana Frei zur Theorie von Judith Butler (*1956): «In ihrem Konzept der Perfomativität zeigt Butler auf, dass Geschlecht 'Performance' ist, dass man das soziale Geschlecht erlernt. Ein streng dichotomes biologisches Geschlecht gibt es nicht.»

Auch zum Begriff Karnevalesque von Mikhail Bakhtin (1895–1975) zieht die Doktorandin Parallelen: «Ein Charakter der Schwulenclique in 'Queer as Folk' traut sich nicht auf die Pride Parade, da er sich im Job noch nicht geoutet hat, weil er schüchtern ist und Repressionen fürchtet. Als Frau verkleidet geht er dann doch – und küsst einen zuschauenden homophoben Arbeitskollegen. Verkleidet hat er die Freiheit, Normen der Gesellschaft zu hinterfragen.»

Sowohl «Queer as Folk» als auch «The L-Word» haben nicht nur Fans. «Kritisiert wird vor allem, dass die Charaktere der Serien nicht repräsentativ seien», erläutert Dana Frei. «Natürlich sind nicht alle Homosexuellen sexy und sexbessesen. Aber die Filme mit Homosexuellen werden immer differenzierter. Es werden immer weniger Stereotypen verwendet und es wird weniger Gruppenidentität präsentiert. So spielen in der amerikanischen Serie «Six Feet Under» bereits homosexuelle Charaktere mit, die normale Probleme haben dürfen.»

Nachwuchsforscherin Dana Frei am Institut für Populäre Kulturen.

Zeit und Geld dank Forschungskredit

Dana Freis Begeisterung für wissenschaftliches Arbeiten ist offensichtlich. Bereits während ihres Studiums der englischen Literatur war ihr klar, dass sie weitermachen wollte: «Nach Abschluss des Lizenziats habe ich gleich mit meinem Dissertationsprojekt bei Frau PD Dr. Tomkowiak vom Institut für Populäre Kulturen begonnen und 'nebenbei' vier Tage die Woche für meinen Lebensunterhalt gearbeitet», erzählt sie. So kam sie nicht wirklich gut voran mit der Doktorarbeit. Auf der Suche nach einer Finanzierung ihres Projektes stiess sie im Internet auf den Forschungskredit der Universität Zürich: «Der Forschungskredit bietet mir genau die Finanzierungshilfe, die ich gesucht habe. Ich kann mich jetzt ganz auf das Projekt konzentrieren und befinde mich zwei Jahre lang in der luxuriösen Situation, alle Zeit dafür zu haben.»

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