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Hirnoperationen mit Ultraschall

In der Universitäts-Kinderklinik Zürich wurde kürzlich Europas erstes Hochenergie-Ultraschallsystem für die klinische Erforschung nicht-invasiver Eingriffe im Gehirn von Kindern und Erwachsenen installiert. unipublic liess sich in den Bann der starken Magneten und höchsten Töne ziehen und hat das Forschungsprojekt besucht.
Brigitte Blöchlinger und Beat Werner

1+1=10 gilt für das Hochenergie-Ultraschallsystem, das Mitte Juni im Kinderspital installiert wurde. Denn das neue System bringt zwei bekannte Verfahren, den Ultraschall und die Magnetresonanztomographie (MRT), zusammen und vereint sie zu etwas Neuem, das viel mehr ist als die Summe der Einzelteile: Mit der neuen Technologie wird man am Computerbildschirm chirurgische Eingriffe im Gehirn vornehmen können, ohne die Schädeldecke des Patienten zu öffnen – ein revolutionärer Schritt in der Hirnchirurgie.

Highpower. Das neue Hochenergie Ultraschallsystem ist am Hochfeld-MR-Scanner des Kinderspitals Zürich installiert.

Mit Magnetresonanz planen – mit Ultraschall behandeln

Die Magnetresonanz liefert dem Neurochirurgen Bilder des zu operierenden Hirnareals als Grundlage seiner Operationsplanung am Computerbildschirm. Auf demselben Bildschirm führt er computerunterstützt sein Operationswerkzeug, das kein Skalpell mehr ist, sondern der Brennpunkt eines Ultraschallsenders. Die Energie des Ultraschalls im Brennpunkt ist so hoch, dass damit krankhaftes oder fehlfunktionierendes Hirngewebe thermokoaguliert werden kann – durch die ungeöffnete Schädeldecke hindurch.

Dieser neue Ansatz für neurochirurgische Eingriffe hat viele Vorteile, die drei wichtigsten sind: Erstens ist der Eingriff nicht-invasiv und vermeidet deshalb viele Risiken, die mit klassischen Operation einhergehen. Zweitens gelten sowohl Magnetresonanz als auch Ultraschall als unbelastend für den Patienten, der während des ganzen Eingriffs keinerlei Strahlung ausgesetzt ist. Und drittens kann der Neurochirurg jederzeit MR-gestützt den aktuellen Operationsstand mit der Operationsplanung vergleichen und die einzelnen Koagulationsphasen online mittels MR-Temperaturkarten überwachen.

Der Ultraschallsender hat die Form eines Helms, der über den Kopf des Patienten gestülpt wird. Erst die Verteilung der Sendefläche auf eine Halbkugel ermöglicht die Durchdringung des Schädelknochens.

Ultraschall statt Skalpell

Ultraschall als «Skalpell» bei Operationen einzusetzen, ist keine neue Idee. Zur klinischen Anwendung bedurfte es aber der Kombination mit Magnetresonanz, um den Ultraschalleingriff nicht blind, sondern zuverlässig bildgeführt ausführen zu können. Weltweit führend ist die Firma «InSightec», deren Systeme für gewisse Anwendungen ausserhalb des Kopfbereichs bereits klinisch zugelassen sind und für andere kurz vor der Zulassung stehen. So werden seit dem Jahr 2004 mittels Ultraschall Myome in der Gebärmutter behandelt, ambulant und ohne dass die Bauchdecke aufgeschnitten oder die Gebärmutter entfernt werden müsste. Bei Prostatakrebs soll das neue Verfahren den Vorteil haben, dass es die Nervenbündel entlang der Prostata intakt lässt, so dass den Patienten nach der Operation Inkontinenz oder Impotenz erspart bleiben.

Nach sechs Jahren Vorbereitung: Beat Werner (links) und Prof. Ernst Martin bereiten die ersten Testmessungen am neuen System vor.

Weltweit drei Standorte

Hochenergie-Ultraschall durch den intakten Schädel zu leiten stellt eine besondere Herausforderung dar. Da die dafür benötigte Technologie sehr komplex ist, wird der Hersteller «InSightec» in naher Zukunft nur gerade drei Systeme an speziell ausgewählten Forschungsinstituten installieren, zwei in den USA und eines am Kinderspital Zürich.

Noch ist das revolutionäre System mit seinem prominenten Frontend, dem «Helm», in der Testphase. «Vorerst üben wir, gezielt Löcher in 'Joghurtbecher' zu schmelzen», erklärt mit einem Schmunzeln der Physiker Beat Werner vom Universitäts-Kinderspital Zürich bildhaft die ersten Fokussierungs- und Temperaturkontrolltests, die derzeit laufen. Die «Joghurtbecher» sind in Tat und Wahrheit Phantomschädel von unterschiedlicher Dicke und Dichte, an denen das neue Gerät erprobt wird.

Interdisziplinarität und Vernetzung

Vier Hochschulgruppen erarbeiten in einem Forschungsprojekt des Nationalen Forschungsschwerpunkts Co-Me notwendige Technologien, Methoden und Know-How, damit am installierten Prototypensystem in naher Zukunft erfolgreich Patienten behandelt werden können.

Verständnis dank Simulationen

Wichtige theoretische Aspekte funktioneller Störungen des menschlichen Gehirns werden in der Gruppe von Prof. Paul Verschure am Institut für Neuroinformatik der Universität Zürich und der ETH Zürich untersucht: Anhand numerischer Modelle werden am Computer pathophysiologische Vorgänge im Gehirn simuliert. Welche hemmenden und stimulierenden Impulse im gesunden und welche im kranken Gehirn wirken, und welche Auswirkungen lokale Eingriffe auf das ganze System haben, sind dabei die Fragen, die innerhalb des Ultraschall-Projekts von Interesse sind. Von einem vertieften Verständnis der Dynamik fehlregulierter Systeme erhofft man sich wichtige Impulse für die Weiterentwicklung neurochirurgischer Operationsstrategien, die später auf dem neu installierten System realisiert werden könnten.

Ein Atlas für das Unsichtbare

Wichtig für den Erfolg des Forschungsprojekts ist ein elektronischer Atlas, der im Team von Prof. Gabor Székely, Leiter des Medical Image Analysis and Computer Vision Laboratory der ETH Zürich, entwickelt wird. Der Atlas überträgt die anatomischen Informationen des histologischen Morel Atlas der Basalganglien online auf die MR-Bilder des zu behandelnden Patienten und erlaubt dem Neurochirurgen damit die Navigation in Strukturen des Thalamus, die in den MR-Bildern kaum erkennbar sind.

Magnetresonanz: von der Diagnostik zur Intervention

Initiator des Forschungsprojekts ist der Kinderarzt und pädiatrische Neuroradiologe Prof. Ernst Martin, Leiter des Magnetresonanz-Zentrums des Kinderspitals Zürich. Seit dem Jahr 2000 arbeitet er daran, das Potential des Hochenergie-Ultraschalls für nicht-invasive Eingriffe im Gehirn erforschen zu können. «Als Kinderarzt bin ich sehr an nicht-invasiven Methoden und Technologien interessiert, die die Integrität des sich entwickelnden Gehirns beim Kind nicht stören», erklärt Prof. Martin. «Dies war die Motivation vor 20 Jahren Magnetresonanz in der pädiatrischen Neuroradiologie einzuführen und dies ist auch jetzt der Antrieb, die Magnetresonanz von der diagnostischen Methode zum interventionellen Werkzeug weiterzuentwickeln.

Regulation funktionelle Störungen im Gehirn

Prof. Daniel Jeanmonod, Leiter der Abteilung für funktionelle Neurochirurgie am Universitätsspital Zürich, hat sich auf die Erforschung funktioneller Störungen im Gehirn wie neurogene Schmerzen (zum Beispiel Phantomschmerzen), Bewegungsstörungen (zum Beispiel Parkinson) und Epilepsie spezialisiert. Anders als bei der Operation von Tumoren oder Missbildungen, wo krankes Gewebe chirurgisch entfernt wird, geht es bei der funktionellen Neurochirurgie darum, das Gleichgewicht in einem fehlregulierten Gehirn wieder herzustellen. Meist ist die Zusammenarbeit zwischen einem tiefen Kern (Thalamus) und der Hirnrinde gestört, was sich in schweren spastischen Krämpfen, Schmerzen oder Bewegungsstörungen äussert.

«Chronische, therapieresistente Hirnfunktionsstörungen verursachen eine dramatische Reduktion der Lebensqualität bei einem bedeutenden Prozentsatz der Bevölkerung. Hochenergie-Ultraschall entledigt uns wichtiger Nachteile der bisherigen Operationsmethode (Risiko für Blutungen und Infektionen, etc) und eröffnet uns zugleich Operationsfelder, die bisher mechanisch nicht zugänglich waren. Durch die grössere Adaptabilität des Eingriffs erwarten wir bedeutsame Fortschritte in unseren Therapieprogrammen», sagt Prof. Jeanmonod.