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Das neue «Institut für populäre Kulturen»

Das Volkskundliche Seminar heisst neu «Institut für Populäre Kulturen». Der Namenswechsel ist das Resultat einer inhaltlichen Neuausrichtung, die schon in den 1960er Jahren begonnen hat. Neu gestaltet sich ab kommendem Herbst auch das Studium.
Adrian Ritter

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Können ab Herbst zwei neue Hauptfach-Studienrichtungen anbieten: Institutsleiter Prof. Ueli Gyr und PD Dr. Ingrid Tomkowiak, Leiterin der Abteilung Populäre Literaturen und Medien.

Einige letzte Lizentiate wird es in den Fächern «Volkskunde» und «Europäische Volksliteratur» an der Universität Zürich noch geben. Die neuen Bachelor-/Masterstudiengänge am Institut für Populäre Kulturen (IPK) aber heissen «Alltagskulturen» und «Populäre Literaturen und Medien». unipublic hat sich mit Prof. Ueli Gyr, Leiter des Institutes, und PD Dr. Ingrid Tomkowiak, Leiterin der Abteilung Populäre Literaturen und Medien, über die Neuerungen unterhalten.

unipublic: Warum gibt sich das Volkskundliche Seminar einen neuen Namen?

Gyr: Ende der 1960er Jahren setzte im deutschsprachigen Raum eine grosse Debatte über den Namen des Faches ein. Man war sich einig, dass der Begriff «Volk» ungenau und ideologieanfällig ist. Er war nicht zuletzt im Nationalsozialismus für politische Propaganda missbraucht worden. Die geschichtliche Hypothek war deshalb zu gross und viele volkskundliche Institute wurden umbenannt, beispielsweise in «Europäische Ethnologie», «Kulturwissenschaft» oder «Kulturanthropologie». So trug das Fach bald zahlreiche Namen.

In der Schweiz wurde diese Debatte um den Namen ebenfalls geführt?

Tomkowiak: Ja, denn die damalige Volkskunde betrachtete das «Volk» als eine organisch gewachsene, homogene Einheit, die gleichsam aus sich selbst heraus kulturelle Phänomene wie beispielsweise Märchen und Bräuche hervorbringt. Diese Vorstellung ist so nicht haltbar, hielt man damals fest. Die Alltagskultur wächst nicht nur von «unten», sondern entsteht durch vielerlei gesellschaftliche Impulse und wird beispielsweise auch von der Kulturindustrie geprägt. Dementsprechend begann auch die Volkskunde in der Schweiz ihren Gegenstand komplexer und breiter zu definieren und verstand sich fortan als Kulturwissenschaft.

Von Bestsellern und Krimis: Das Teilfach «Populäre Literaturen und Medien» erforscht populäre Lesestoffe und Unterhaltungsgenres.

Eine Namensänderung fand aber nicht statt?

Gyr: Ein Antrag, das Fach an der Universität Zürich künftig «Europäische Ethnologie» zu nennen, wurde in den 1970er Jahren von der Philosophischen Fakultät abgelehnt. Die Zeit schien nicht reif für einen solchen Schritt. Dabei muss man bedenken, dass die Volkskunde damals eher als Hilfswissenschaft der Geschichte denn als eigenständige Disziplin betrachtet wurde.

Warum wird der Name zum jetzigen Zeitpunkt gewechselt?

Tomkowiak: Nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Bologna-Reform drängte es sich auf, das Studium neu zu positionieren. Zudem hatte die Volkskunde in den letzten Jahrzehnten eine weitere grosse Entwicklung durchgemacht. Es stand je länger je mehr eine interdisziplinäre Sichtweise im Vordergrund. Auch wir in Zürich verstehen «Populäre Kulturen» als Schnittstellenfach: Ein eigenständiges Fach, welches die Alltagskultur in ihren Mittelpunkt stellt und dabei nicht auf Abgrenzung, sondern auf Offenheit setzt im Kontakt mit anderen Disziplinen wie Soziologie, Geschichte, Literatur- oder Publizistikwissenschaft.

Wie kam es zum neuen Namen «Populäre Kulturen»?

Gyr: Der Begriff umschreibt am besten, was wir tatsächlich untersuchen: Kulturelle Dimensionen des alltäglichen Lebens, die so genannte Alltagskultur oder Lebenswelt. «Kulturen» als Plural wird dabei der vielschichtigen Realität kultureller Phänomene besser gerecht. Gleichzeitig vermag der neue Name neben der Alltagskultur im engeren Sinne auch den Bereich der populären Literaturen und Medien zu umfassen.

Was ist unter «populär» zu verstehen?

Tomkowiak: Der Begriff «populär» kann Unterschiedliches bezeichnen. Einerseits meint er das in einer Gesellschaft Bekannte und Beliebte - beispielsweise Hollywoodfilme oder Popmusik. Zweitens kann als populär bezeichnet werden, was für die breite Bevölkerung speziell geschaffen wurde, um bestimmte Inhalte zu verbreiten – zu «popularisieren». Dies kann beispielsweise eine Stop-Aids-Kampagne mit dem Ziel der Aufklärung sein oder eine kommerzielle Werbekampagne. Zu den Elementen populärer Kulturen gehören drittens Dokumente, in denen Menschen ihr Leben darstellen oder reflektieren, etwa Tagebücher oder Fotoalben.

Konsumstile unter der Lupe: Das Teilfach «Alltagskulturen» fragt nach dem subjektiven Erleben und der gesellschaftlichen Prägung unserer Lebenswelt.

Wie wird der neue Name des Institutes aufgenommen?

Gyr: Von ausländischen Kolleginnen und Kollegen bekommen wir Rückmeldungen, der neue Name erleichtere die internationale Anschlussfähigkeit des Faches, sei zukunftsweisend und plausibel.

Tomkowiak: Er scheint auch in der Öffentlichkeit bereits Wirkung zu zeigen. Beispielsweise kontaktierten uns Medienschaffende bisher vor allem, wenn sie etwas über die Geschichte der Fasnacht, des 1. April oder über Märchen wissen wollten.

Seit wir Institut für Populäre Kulturen heissen, bekommen wir auch Medienanfragen rund um Bestseller in Literatur und Film oder anlässlich der Fussball-WM zum Beispiel zum Gebrauch der nationalen Farben im Alltag. Obwohl wir durchaus auch Brauchforschung betreiben, freut es uns natürlich, dass wir nun vermehrt als Fach mit einer breiten kulturwissenschaftlichen Ausrichtung wahrgenommen werden.

Per Herbst 2006 wird auch das Studium anders aussehen. Was ändert sich anlässlich der Bologna-Reform?

Gyr: Der neue Bachelor «Populäre Kulturen» kombiniert die Teilfächer «Alltagskulturen» sowie «Populäre Literaturen und Medien». Bereits im Bachelor-Studium kann eines davon als Schwerpunkt gewählt werden. Neu ist somit, dass im Hauptfachstudium das Teilfach «Populäre Literaturen und Medien» im Mittelpunkt stehen kann, wogegen «Europäische Volksliteratur» nur als Nebenfach studiert werden konnte.

Den Studierenden steht es allerdings frei, zunächst beide Fächer parallel und gleichberechtigt zu studieren und erst im Masterstudium einen Schwerpunkt zu legen. Wir sind überzeugt, den Studierenden dadurch attraktive Studienmöglichkeiten zu bieten.