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Mathematik

Das Fach der Glücklichsten

Mathematik ist für viele ein Angstfach. Das ist komfortabel für die Wenigen, die sich an die abstrakte Zahlenwelt heranwagen: Sie suchen nach ihrem Uniabschluss nicht allzu lange nach einem Job.
Manuela Moser

Wer Mathematik studiert, lernt zu abstrahieren und strukturiert zu denken. Das ist in der Wirtschaft gefragt.

Mathematikerinnen und Mathematiker haben es gut. Nach ihrem Abschluss an der Universität sind sie in der Privatwirtschaft gefragt. Börsenentwicklungen, Zinsrückzahlungsmodelle, Risikoanalysen - ihr erlerntes Abstraktionsvermögen und ihr strukturiertes Denken sind in der komplex gewordenen Welt gefragt.Nicht nur in Banken, Versicherungen und Consulting-Firmen, sondern auch in der Softwareentwicklung und im IT-Bereich. Und auch im Lehramt gibt es zu wenige Mathematiker.

Steffi Muff: «Ich bin ehrgeizig und muss mich fordern.»

Kein Wunder also, sieht die 24-jährige Steffi Muff ihrem Mathe-Abschluss in diesem Herbst gelassen entgegen. Sie hat noch keine Stelle. Erst einmal wird sie für zwei Monate in die Ukraine reisen. IAESTE, eine internationale Vermittlungsstelle für technisch-mathematische Berufe, hat ihr ein Praktikum an der Universität Kiew vermittelt. Am liebsten würde sie danach gleich weiterreisen, um nach fünf Jahren Uni mal etwas zu erleben. Doch um sicher zu gehen, wird sie zurückkehren und das Höhere Lehramt zu Ende machen - obwohl: Schule geben will sie nicht. Die Aushilfslektionen während des Studiums haben ihr zwar Spass gemacht, doch eine Herausforderung fürs Leben sei dieser Beruf für sie nicht. «Ich bin ehrgeizig und muss mich fordern. Als Lehrerin sehe ich nur beschränkte Entwicklungsmöglichkeiten.» Was sie aber genug fordern würde, weiss sie noch nicht. «Irgendetwas in der Wirtschaft» sagt sie und fügt sichtlich unbesorgt hinzu: «Ein Studienkollege bei der Rückversicherung macht jetzt schon Druck auf mich und will mich unbedingt in die Firma holen!»

Martin Knoller Stocker: «Ich finde bestimmt einen Job.»

Nicht nur pragmatisch

Auch Martin Knoller Stocker hat sich mit 26 Jahren und als Vater eines eineinhalbjährigen Kindes nicht davon abhalten lassen, noch ein Mathematikstudium anzufangen. Der gelernte Kaufmann studiert jetzt im zweiten Semester. Das Stipendium des Kantons ist knapp, so wird er demnächst bei der Universität oder Bank einen Kredit aufnehmen müssen. Trotz dieses finanziellen Drucks gibt auch er sich zuversichtlich: «Von den 70 Studierenden, die mit mir angefangen haben, werden nur etwa zehn abschliessen. Da finde ich bestimmt einen Job.» Zudem habe er mit seiner Erstausbildung auf dem Büro ein sicheres Standbein. Mathematik studiert der Familienvater, weil es ihn wirklich interessiert, doch auch etwas Pragmatismus lenkt ihn bei seinem Berufsziel: Er will Versicherungsmathematiker werden, «weil sich das finanziell lohnt.» So wird er sein Vertiefungsfach denn auch in diese Richtung wählen. Im ersten Nebenfach belegt er wie die meisten Mathematiker Informatik. Für die Semesterferien sucht er sich nun einen Nebenjob auf dem Büro. Speziell als Mathematiker will er sich noch nicht bewerben. «Ich habe bisher keine Prüfungen gemacht.»

Philipp Thomann: «Wer Mathematik studiert, gehört zu den Glücklichsten.»

Geistreiche Spiele

Den 22-jährigen Philipp Thomann hat dieses Argument von keinem seiner Nebenjobs abgehalten. Gleich nach der Matura fand er eine gut bezahlte Anstellung als Programmierer bei einer Versicherung. Heute - er studiert Mathematik im sechsten Semester - kann er nebst einer Anstellung als Semesterassistent wieder programmieren, und zwar für eine Anwaltskanzlei. Dabei belegt er im Nebenfach nicht einmal Informatik, sondern allgemeine Sprachwissenschaft und Religionswissenschaft, was nur an der Universität möglich ist, an der ETH sei das Angebot viel eingeschränkter. Diese Nebenfächer bringen Thomann als Mathematiker keinen Karrierevorteil; er studiert sie, weil sie ihn interessieren. Und, wie er sagt, weil die Verwandtschaft mit der Mathematik gross sei. «Auch sie sind abstrakt-analytisch und es geht um Modelle.» Thomann liebt es, wenn sich «alles im Geist abspielt». Später will er weiterforschen, an der Uni oder in der Privatwirtschaft. Sorgen um seine Berufszukunft macht er sich jedenfalls keine.

Alle drei Studierenden sind von der Mathematik fasziniert. So gefallen Steffi Muff die Ästhetik eines Satzes von Pythagoras, die Geistesblitze, die zu solch klaren Aussagen führen, und schmunzelnd ergänzt sie: «Gute Mathematiker müssen nicht spinnen». Martin Knoller Stocker schwärmt von der Eleganz und der Schönheit, ja der Perfektion, die hinter der Vereinfachung eines komplizierten Sachverhaltes stecken. Und Philipp Thomann redet von der Agilität des Geistes und meint selbstbewusst: «Wer Mathematik studiert, gehört zu den Glücklichsten. Denn hier finden sich die schönsten Fragen.» So lange sich aber die meisten von dieser abstrakten Zahlenwelt abschrecken lassen, so lange bleibt es für die wenigen Glücklichen komfortabel – für die Betreuung an der Uni und die späteren Berufsaussichten.

Manuela Moser ist freie Journalistin.

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